: Snowboys von Colorado
Naturnaher Wintersport und Winterurlaub im politisch korrekten Wilden Westen ■ Von Rüdiger Kind
Der big sky des amerikanischen Westens hängt voller dunkler Schneewolken, als der Helikopter der Rocky Mountains Aviation nach atemberaubendem Flug in Snow Valley auf 3.000 Meter Höhe landet. Nicht nur der sky ist hier bigger als der über Berlin, auch die Schneeflocken sind hier so big, Mann!Und die Steaks, die uns abends in der Rockwood Lodge serviert werden, sowieso. Manager dieser Kreuzung aus Berghütte und Country Club ist Steve Moskowitz, ein 36jähriger ehemaliger Börsenmakler aus New York City, den die Liebe zu einem waschechten Cowgirl aus Aspen, Colorado, in die Berge verschlagen hat. Steve bereut keine Sekunde, daß er die nervenaufreibende Spekulation mit Aktienpaketen mit der harten, ehrlichen Arbeit in der dünnen Luft der Rockies vertauscht hat. „Seitdem ich hier oben bin, bin ich ein anderer Mensch geworden“, strahlt der sympathische Nachfahre weißrussischer Tellerwäscher – man glaubt ihm aufs Wort. Einzige Erinnerung an seine Wallstreet-Vergangenheit ist der „Snow Jones Index“, die Markierung für den höchsten Schneestand vor Steves Blockhaus, in dem er mit Ehefrau Kate und den zwei Kindern lebt.
Als wir uns am nächsten Morgen nach einem üppigen Frühstück mit Pfannkuchen, Eiern und Speck fertig machen zum Skilaufen und Steve nach dem Weg zu den Skiliften fragen, muß er breit grinsen. „Oh boy!“ Steve kann es nicht fassen, daß in good old Europe noch Ski gefahren wird. „Darüber sind wir hier in den Rockies längst hinaus. Die politisch korrekte Sportart der Nineties ist doch Snow Walking!“ Und dann fügt er mit strengem Blick hinzu: „We have only lent the snow from our children.“ Das sitzt. Peinlich, daß ausgerechnet er, der ehemalige Agent des Weltkapitalismus, uns, die wir uns auf der ökologisch ganz sicheren Seite wähnten, dieses sagen muß. Aber noch haben wir ja nichts anbrennen lassen.
Nachdem wir uns von dem Schock erholt haben, freunden wir uns mit der Aussicht auf einen skifreien Winterurlaub inmitten der herrlichsten Pisten an. Natürlich lassen wir uns nicht der Zerstörung der Natur bezichtigen. Wir leihen uns brav ein Paar seiner unförmigen Schneeschuhe, mit denen wir durch die unverbrauchte Winterlandschaft der Rockies stampfen.
Wie wir auf unserem Rundgang entdecken, wird hier oben sehr wohl noch Ski gefahren, wenn auch ein bißchen anders als bei uns. Das sogenannte Cyber Skiing findet im Oak Ridge Saloon statt, einer Art Spielsalon mit Videospielen, die ausschließlich mit Wintersportarten zu tun haben. Hier kann man auf absolut umweltverträgliche Weise die Pistensau rauslassen: Abfahrtsrennen auf der Todespiste, Superslalom mit spektakulären Stürzen, Eishockey mit Datenhandschuh oder Eisklettern in der Computersimulation – der Saloon bietet Nervenkitzel pur zu äußerst zivilen Preisen. Anschließend machen wir uns auf den Weg zum Eisgolfplatz. Beim Ice Golfing handelt es sich um eine Art Minigolf auf präparierten Eisbahnen mit tiefgefrorenen Hindernissen. Zuerst kommen wir uns ein bißchen vor wie beim Seniorentreff in Bad Wörishofen, aber der Enthusiasmus, mit dem die amerikanischen Eisgolfer die Schläger schwingen, wirkt dann doch auch auf uns ansteckend.
Am nächsten Tag lädt uns Steve zu einem Highlight politisch korrekten Wintersports ein: Gemeinsam mit einer Gruppe einheimischer Umweltschützer ziehen wir mit Schneeschaufeln bewaffnet aus dem village. Der fünfstündige Fußmarsch führt uns zu einer waldreichen Senke am Fuß des Big Big Horns, dem Hausberg Snow Valleys. Wahrlich ein imposanter, in seiner Größe typisch amerikanischer Felsbrocken, der da vor uns aufragt. In den Höhlen lebt eine seltene, wenn nicht gar vom Aussterben bedrohte Tierart, der Schneeotter. Aufgrund der heftigen Schneefälle der letzten Wochen sind diese putzigen Nager aber von der Außenwelt abgeschnitten – riesige Schneeverwehungen haben ihre Höhlen verschüttet und die Verbindungswege nahezu unpassierbar gemacht. Unsere Mission steht fest: die eingeschlossenen, vor Kälte sicherlich schlotternden Kreaturen müssen freigeschaufelt werden! In achtstündiger, mühsamer Schaufelarbeit legen wir diverse Höhleneingänge frei und werfen den scheuen Tieren mitgebrachte Vollwertkost in die Gänge. Erschöpft, aber wohlgemut ziehen wir zurück ins village – beschwingt von dem Wissen um eigenhändig gerettete Otterleben.
Die folgenden Tage vergehen wie im Fluge. Hier mal kurz dem seltenen Kronenreiher ein Loch in den zugefrorenen See gehackt, dort mal eben ein Adlerjunges aus dem vereisten Horst befreit – der Natur unter die Arme zu greifen macht uns mittlerweile nicht nur Spaß, es ist uns ein echtes Anliegen geworden, und wir können uns kaum mehr vorstellen, wie wir die öden Wintertage im deutschen Großstadtleben verbringen sollen.
Das Ende unseres Aufenthalts naht. Steve lädt uns zum Abschied zu einem echten Snow-Rodeo ein. Die traditionelle Pferdeshow des amerikanischen Westens wurde von den umweltbewußten Bewohnern der Rockies leicht modifiziert. Anstatt wilde Pferde mit dem Lasso zu fangen, geht die Jagd der Snowboys auf unbelehrbare Wintersportler, die sich nicht an das Skifahrverbot halten wollen. Hinter einer Felswand am Rand der Canyon-Creek-Abfahrtspiste lauern die hartgesottenen Burschen auf ihren Pferden den Missetätern auf. Wir warten keine fünfzehn Minuten, da kommt auch schon einer die Piste heruntergebrettert. Mit einem markigen „Let's go!“ reiten drei lassoschwingende Snowboys ihm nach und haben ihn nach wenigen Metern eingefangen. „So haben wir mit der Zeit unseren Ort fast skifahrerfrei bekommen“, erklärt uns Steve, „aber natürlich gibt es immer ein paar Verrückte, die es nicht lassen können. Die holen sich unsere Jungs dann von den Brettern.“ Als wir zuschauen, wie der gefesselte Skifahrer am Lasso den Hang hinuntergeschleift wird, sind wir heilfroh, daß wir gerade noch rechtzeitig von Steve lernen durften, daß wir den Schnee, auch den von gestern, von unseren Kindern nur geliehen haben...
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen