: Sehnsucht nach Antonio Di Pietro
In der Türkei förderte ein Attentat auf einen ehemaligen Bankdirektor zutage, was sich alle dachten: Politiker und Unternehmer teilen Unsummen an Steuergeldern unter sich auf ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren
Die Szene erinnerte an einen Mafiafilm: Ein grauer Mercedes überholt einen BMW und versperrt den Weg. Ein Mann mit Mobiltelefon steigt aus und geht auf den BMW-Fahrer zu. „Mein Chef will Sie sprechen.“ Als der BMW- Fahrer die Fensterscheibe herunterkurbelt, bekommt er kein Telefon gereicht: Der andere zieht seine Browning und feuert mehrere Schüsse ab. Schwer verletzt wird der BMW-Fahrer ins Krankenhaus eingeliefert.
Dieser blutige Anschlag in Istanbul hätte in der vergangenen Woche nicht unbedingt für Wirbel gesorgt – wäre das Opfer nicht ausgrechnet Engin Civan, ehemaliger Chefmanager der staatlichen Großbank „Emlak Bankasi“, gewesen. Dieser überlebte nicht nur, sondern packte gegenüber Polizei und Presse auch freimütig über Hintergründe und Hintermänner des Anschlages aus. Damit brachte er die Aufklärung einer der schwersten Schmiergeldaffären in der Türkei in Gang.
Der Sumpf, der seitdem zum Vorschein kam, bestätigte den Türken, was sie bereits seit langem vermutet hatten: Politiker, Unternehmer und Mafiosi teilten in den vergangenen Jahren Unsummen an Steuergeldern unter sich auf. Mittlerweile sind Täter und Hintermänner des Anschlags in Polizeihaft. Doch auch gegen Civan, der Anfang der Woche aus dem Krankenhaus entlassen wurde, ermittelt die Staatsanwaltschaft. Der Manager bereut es jetzt sehr, daß er im ersten Zorn auch den Unternehmer Selim Edes belastet hat. Mit den folgenden gegenseitigen Beschuldigungen rückte auch seine eigene Vergangenheit ans Licht: Civan hatte die stattliche Summe von dreieinhalb Millionen US-Dollar als Schmiergeld von Bauunternehmer Edes kassiert. Bevor er die versprochene Gegenleistung der Bank erfüllen konnte, schied er aus dem Amt.
Unternehmer Edes wandte sich daraufhin an die Spitzen der türkischen Mafia, an Dündar Kilic und seinen Schwiegersohn Alaettin Cakici, um die Rückzahlung zu erzwingen. Im Haus des wohl bekanntesten türkischen Mafiosi Dündar Kilic kam es zu einer Aussprache. Ohne Erfolg. Kurz nach der Zusammenkunft fielen die Schüsse. „Der blutige Krieg von Özals Männern“ titelte die Istanbuler Tageszeitung Hürriyet. Bankmanager Civan war einer der wichtigsten Männer des verstorbenen türkischen Staatspräsidenten Turgut Özal und ein enger Freund dessen Sohnes Ahmet. Unternehmer Selim Edes, ebenfalls Freund der Familie, stieg in der Özal-Ära zum Milliardär auf. Die staatlichen Großbanken, deren Managerposten Freunde Özals innehatten, deckten die kriminellen Wirtschaftspraktiken der mit Özal befreundeten Unternehmer.
Jetzt soll eine Sonderkommission der Bank „Emlak Bankasi“ die Vorwürfe klären. Der Chef der Bank, Ayaydin, erklärte: „Sedem Edes' Schulden an unsere Bank belaufen sich nach groben Schätzungen auf 100 Millionen US-Dollar.“ Vom öffentlichen Wirbel aufgeschreckt, haben die türkischen Politiker angefangen, Stellungnahmen abzugeben. „Ich werde diesen Raub stoppen“, erklärte die türkische Ministerpräsidentin Tansu Çiller. Das hört sich gut an, doch auch ihr eigener Ehemann wird des betrügerischen Konkurses seiner Privatbank beschuldigt. Ihr Bauminister Mustafa Yilmaz trat nach zwei Monaten Amtszeit zurück, weil er sich nicht auf schmutzige Deals einlassen wollte. „Ich dachte, ich werde verrückt. Bauunternehmer drohten mir mit dem Tode.“
Der einstige Ministerpräsident und jetzige Oppositionsführer Mesut Yilmaz erklärte, Staatspräsident Özal habe verhindert, daß Civan seines Amtes bei der „Emlak Bankasi“ enthoben wird. Doch als Regierungschef hätte auch Yilmaz den Fall aufklären können, und auch er hat seinerzeit geschwiegen. Gutachten des obersten staatlichen Rechnungshofes, in denen die Zustände bei der „Emlak Bankasi“ moniert werden, verschwanden damals in den Schubladen. Schwer beschuldigt wird auch Ahmet Özal. Der Sohn des verstorbenen Staatspräsidenten, einst Bodenputzer bei McDonalds in den USA, ist mittlerweile Eigentümer des Privatsenders „Kanal 6“. Nach den polizeilichen Aussagen des Mafioso Dündar Kilic rief ihn die Özal-Witwe, Semra Özal, persönlich an, um im Civan-Edes- Konflikt die Beute „zu vermitteln“.
Kilic selbst wurde inzwischen wieder auf freien Fuß gesetzt, weil gegen ihn persönlich kein ausreichender Tatverdacht besteht. Doch seine Aussagen belasten Özals Sohn und Witwe so sehr, daß inzwischen ihre Vernehmung angeordnet wurde.
Während die Staatsanwaltschaft noch an den Anklageschriften gegen Top-Manager Civan und Top-Unternehmer Edes bastelt, ist ein anderer immer noch auf freiem Fuß: Alaettin Cakici, der im Auftrag Edes gegen Kommission den Schußbefehl erteilte. Cakici, einst Mitglied der faschistischen „Grauen Wölfe“, bevor er ins lukrative Geldeintreibungsgeschäft einstieg, meldete sich telefonisch bei türkischen Zeitungen, um Interviews zu geben. Faschist Cakici fühlt sich als moderner Robin Hood. „Der eine bemächtigt sich der Steuergelder, der andere schmiert. Zum Schluß kommt die Geschichte zu uns. Ich habe nur Probleme mit Leuten, die krumme Dinger drehen.“ Mordbefehle erteile er nicht: „Ich sag meinen Männern: Bringt das in Ordnung. Der Rest ist deren Sache.“ Dieser Tage gibt es für türkische Kolumnisten nur ein Thema: die Sehnsucht nach Italien, Sehnsucht nach „sauberen Händen“, die Sehnsucht nach dem Mailänder Staatsanwalt Antonio Di Pietro.
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