: Balkankrieg in USA
■ Neu im Kino: "Are They Still shooting"?
Auf den Volkstanz folgt die Hinrichtung! Bei einem familiären Treffen von Exilanten aus dem ehemaligen Jugoslavien mit Musik, Wein und Essen aus dem Heimatland werden auch alte Rechnungen beglichen. Ein Kroate erschießt hier den Mann, der seinen Vater gefoltert und ermordet hat. Auch in Manhattan hört der Krieg nicht auf. Junge Exilkroaten leben hier nur für und mit den Kämpfen dort drüben. New York ist für sie eine Zwischenwelt und „Are they still shooting ?“, die Frage, die sie in all ihren Briefe an Freunde in der Heimat stellen, heißt für sie auch: „Rauben sie uns immer noch unser Leben ?“
Dieses düstere Portrait junger Kroaten in Amerika hat der Filmemacher Tomislav Novakovic als eine originelle Mischung aus verschiedenen Filmstilen und Stimmungen inszeniert. Im Mittelpunkt stehen Boja, der wegen seines gelähmten Beines nicht selber in seiner Heimat kämpfen kann und sich desssen schämt und Moschinka, die immer verzweifelter versucht ihn davon zu überzeugen, daß jede Gewalt den Wahnsinn des Krieges nur vergrößert. Die beiden treffen sich, streiten miteinander und verlieben sich, und ihre Geschichte bildet den konventionellen Rahmen des Films. Aber innerhalb dieses Boy meets Girl Plots arbeitet Novakovic mit einer Freiheit, die an Jazzmusiker erinnert, die ja auch die verwegensten Improvisationen über altbekannten Melodien entwickeln können. Novakovic ist es so gelungen, mit jeder Szene des etwas über eine Stunde langen Film zu überraschen. Da gibt es New Yorker Straßenszenen, die wie Zitate aus den frühen Filmen von Scorsese wirken, da gibt es surrealistische Bilder und Szenen in schwarzweiß, in denen die Schauspieler direkt in die Kamera schauen und Fragen über ihre Heimat und den Krieg beantworten. Oft wirken die Szenen so echt, daß man nicht mehr entscheiden kann, ob Novakovic es so inszeniert oder dokumentiert hat. Auf die Frage nach ihrem Beruf antwortet die Sängerin Moschinka etwa in ihrem gebrochenen Englisch „I sink!“ Egal ob dies nun ein Wortspiel im Script oder ein unfreiwillig erhellender Akzent ist, Novakovic bringt hier ihre Situation genau und verblüffend auf den Punkt.
Wilfried Hippen
Cinema, bis Mittwoch um 19.30 Uhr Originalfg. ohne Untertitel
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