Haft als Selbstzweck

■ Probleme bei der Paßbeschaffung führen zu unzumutbarer Dauer der Abschiebehaft / Ausländerbehörde tatenlos

Der Brief von Polizeipräsident Saberschinsky an Innensenator Heckelmann, der am Wochenende bekanntgeworden war und in dem die menschenunwürdige Unterbringung in Berliner Abschiebeknästen kritisiert wird, hat bestätigt: „Der Hungerstreik der Abschiebehäftlinge im Sommer hat nur minimale Verbesserungen gebracht“, so Traudl Vorbrodt vom Flüchtlingsrat. Nach wie vor gibt es keinerlei Informationsblätter, die Abschiebehäftlinge über ihre rechtliche Situation aufklären.

Bislang ist auch noch kein Sozialarbeiter eingestellt worden, der den Flüchtlingen beratend zur Seite steht. Heckelmann, der beides zugesagt hat, will dies offenbar nur auf möglichst niedrigem Niveau erfüllen. Wenn es nach der Innenbehörde ginge, würde das mehrsprachige Merkblatt nur eine Seite umfassen. Die Ausländerbeauftragte dagegen hat einen 15seitigen Entwurf vorgelegt. Was die Sozialarbeiterstelle betrifft, besteht noch keine Einigkeit, ob sie bei der Polizei oder bei der Ausländerbeauftragten angesiedelt werden soll.

Derzeit bieten Mitarbeiter der Ausländerbehörde zwar einmal wöchentlich eine Sprechstunde an, doch gegenüber Traudl Vorbrodt beklagten mehrere Abschiebehäftlinge den „ausgesprochen rüden Umgangston“.

Angela Hamaiel von der Initiative gegen Abschiebehaft beobachtet seit längerem, daß die Dauer der Abschiebehaft zunimmt. „Früher kamen Leute, bei denen es Probleme bei der Paßbeschaffung gab, nach sechs Monaten raus. Jetzt bleiben sie auch länger drin. Die Leute sollen mürbe gemacht werden.“

Problematisch ist die Lage vor allem für staatenlose Palästinenser aus dem Libanon, bei denen sich die Beschaffung eines Passes häufig monatelang hinzieht. Seit fünf Monaten wartet ein Palästinenser, den Hamaiel betreut, vergeblich darauf, daß die libanesische Botschaft ihm einen Paß ausstellt. „Ihm wird völlig zu Unrecht vorgeworfen, nicht bei der Paßbeschaffung mitzuwirken“, so Hamaiel. „Er hat zwei vollständige Anträge bei der Berliner und Bonner Botschaft abgegeben.“ Doch das läßt die Ausländerbehörde nicht gelten. Seine Familie im Libanon solle den Paß besorgen. Daß diese die nötigen Dollar nicht aufbringen kann, interessiere nicht.

Für „unverhältnismäßig“ hält auch der Anwalt des Betroffenen die Haftdauer, die zuletzt bis zum 3. Dezember verlängert wurde. Seinem Mandanten seien „keinerlei Informationen an die Hand gegeben worden, wie er sich ein Reisedokument beschaffen soll“. Die Fortdauer der Abschiebehaft werde damit zum Selbstzweck und diene „allein der Disziplinierung“. Dorothee Winden