: Veronica ganz privat
Die niederländische TV-Landschaft wird auf den Kopf gestellt ■ Von Falk Madeja
Der niederländische Fernsehmarkt ist immer für Experimente gut. Dort erfolgreiche Produkte gefallen meist auch den deutschen Zuschauern. Die TV-Produzenten John de Mol und Joop van den Ende profitieren davon: Sie verkaufen ihre Unterhaltungsprogramme europaweit, vor allem aber an RTL. Ihre Vermarktungsfirma Endemol hat allein in Deutschland 170 Mitarbeiter.
Nun hat sich Endemol mit 50 Prozent in den größten öffentlich- rechtlichen Kanal der Niederlande, „Veronica“, eingekauft. Der privatisierte Sender (50 Prozent des Kapitals bleiben in der Hand der alten Veronica-Gesellschaft) wird im Herbst nächsten Jahres auf Sendung gehen. Endemol will Hollands erste kommerzielle TV-Station zum größten Privatsender des Landes ausbauen. Über diese Pläne ist vor allem die luxemburgische CLT verärgert. Denn bisher heißen die niederländischen Marktführer RTL 4 und RTL 5, beides Kommerzprogramme der Luxemburger. Sie liegen mit ihren Einschaltquoten vor den drei öffentlich-rechtlichen Sendern, deren Sendezeiten strikt nach der Mitgliederzahl der religiös oder politisch orientierten Anbieterorganisationen verteilt sind.
Jetzt könnte es zwischen dem Lieferanten Endemol und seinem Kunden RTL zum Bruch kommen. Die beiden niederländischen RTL-Stationen sollen Endemol vor die Wahl gestellt haben, sie entweder exklusiv zu beliefern – oder gar nicht mehr. Um Endemol die Entscheidung zu erleichtern, hatten die anderen öffentlich- rechtlichen Anstalten Endemol eine Abnahmegarantie für rund 80 Millionen Gulden in Aussicht gestellt.
Auch der Deutsche Medienmarkt könnte mit Endemols Veronica-Engagement durcheinandergeraten, steht doch gerade eine Vertragsverlängerung zwischen Endemol und RTL an. Angeblich steht Sat.1 als lachender Dritter schon in den Startlöchern, falls die Verhandlungen scheitern.
In Bewegung kommt der niederländische TV-Markt nicht nur durch die Privatisierung von Veronica. Schon Anfang nächsten Jahres will die CLT gemeinsam mit dem US-Weltkonzern Disney ein neues Kommerzprogramm aus der Taufe heben. Da beide Partner auch in Deutschland gemeinsam einen Spartenkanal namens „RTL Super“ planen, könnten von Disney produzierte Programme gleich doppelt verwertet werden.
In den Niederlanden will die CLT damit auch den Plänen eines anderen Konkurrenten begegnen: Die schwedische Firma „Scandinavian Broadcasting System“ (SBS) hat angekündigt, ab 1995 ein niederländischsprachiges Programm für Belgien und Holland auszustrahlen. Hinter der SBS mit Sitz in Luxemburg steht mit einem Viertel der Anteile die amerikanische ABC. Bisher strahlt sie Programme in Schweden, Dänemark und Norwegen aus, auch eine Expansion nach Finnland ist geplant.
Die belgischen und holländischen TV-Märkte sind besonders interessant, weil dort zusammen ungefähr 20 Millionen Menschen niederländischer Sprache wohnen, die gut verdienen und meistens verkabelt sind. Außerdem müssen englischsprachige Sendungen – genau wie in Skandinavien – lediglich untertitelt werden. Eine teure Synchronisation ist angesichts der guten Englischkenntnisse der meisten Zuschauer nur bei Kinderprogrammen nötig. In Belgien hat SBS bereits die Erlaubnis, ihr Programm in die Kabel einzuspeisen, wahrscheinlich zum 1. Februar 1995. In den Niederlanden wird noch mit den insgesamt 170 Kabelgesellschaften verhandelt, der Start wird für einige Monate später erwartet. Investieren will man pro Land etwa umgerechnet 135 Millionen Mark. Bei RTL ist man jetzt schon besorgt: „Weitere kommerzielle Sender unterhöhlen die Qualität der Programme“, meint Freddy Thyes, Chef von RTL 4.
Bei Veronica, das unter den öffentlich-rechtlichen Anbietern mit über einer Million Menschen die meisten Mitglieder zählt, glaubt man, als privatisierte Station das jugendliche Publikum besser erreichen zu können. Als Privatstation ist man vor allem nicht mehr an die strengen gesetzlichen Auflagen gebunden, die vorschreiben, daß 25 Prozent der Sendezeit mit Information, 20 Prozent mit Kultur und weitere fünf Prozent mit Bildungsprogrammen zu füllen sind. Veronica-TV-Direktor Joop Daalmeijer: „Das wirkt sich auf die Einschaltquoten aus.“ Bislang war alles vorgeschrieben: Sendezeit und Werbeeinkünfte standen fest, für Veronica waren es jährlich 80 Millionen Gulden. Zwar ist der Marktanteil an der gesamten Zuschauerschaft nicht riesig, aber unter den Jugendlichen, für die Werbeindustrie die wichtigste Zielgruppe, kommt man auf 15 Prozent Quote.
Rund 100 Millionen Gulden (85 Millionen Mark) hat Veronica beiseite gelegt, für das „kommerzielle Abenteuer“ soll aber allein im ersten Jahr das Doppelte nötig sein. Denn dann will der Sender statt 800 Stunden jährlich immerhin 3.600, also zehn Stunden pro Tag ausstrahlen. Dafür müssen neue RedakteurInnen eingestellt, Filme, neue Shows angekauft, eine Nachrichten- und eine Sportredaktion eingerichtet werden. Es sollen auch ablaufende Lizenzen von Sendungen übernommen werden, die jetzt noch bei den Konkurrenzsendern RTL 4 und TROS laufen.
Das größte Problem aber wird sein, die Million Mitglieder von Veronica davon zu überzeugen, weiterhin das Programmheft zu abonnieren, das der Sender wie alle Öffentlich-rechtlichen herausgibt. Denn von den jährlich 18 Millionen Gulden Reingewinn zehrt der Sender. Heute bietet das Heft schließlich noch die Programmhinweise des beliebten Nachrichten- und Sportanbieters NOS. Ob der aber seine Informationen auch einer privaten Veronica weiter kostenlos überlassen wird? Die zweitgrößte öffentlich-rechtliche Anstalt TROS ist wegen Veronicas Schwenk ins Private jedenfalls so verschnupft, daß man nun ebenfalls kommerziell werden will. TROS-Wunschpartner: ausgerechnet RTL.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen