: Saddam Husseins neuester Schachzug
■ Marsch Tausender staatenloser Zivilisten über die Grenze nach Kuwait?
Kairo (taz) – Seit zwei Tagen versammeln sie sich mit Unterstützung der Regierung in Bagdad zu Tausenden an der irakisch-kuwaitischen Grenze: die sogenannten Biduun, zu deutsch: „ohne“. Es sind staatenlose Menschen, weder Iraker noch Kuwaiter. Ihr nicht vorhandener bürokratischer Status wurde zur Charakterisierung ihres Seins – „ohne“ eben. Sie warten auf ihren Großeinsatz. Gegen sie wird die westliche Kriegsmaschinerie, die jetzt Richtung Irak ausgeschickt wurde, wohl kaum ein adäquates Mittel finden. Das ist womöglich Saddam Husseins neuester Einfall: ein Marsch von Zivilisten über die Grenze, die er bis heute nicht anerkannt hat.
Ursprünglich kommen die Biduun von der arabischen Halbinsel, aus dem Irak und dem Iran. In der Mehrheit sind es Beduinen, deren Familien seit Hunderten von Jahren durch die Wüste zogen. Mit der Gründung von Nationalstaaten und der Ziehung von Grenzen auf der arabischen Halbinsel wurden sie für die Herrscher am Golf zu einem Sicherheits- und Sozialproblem.
Laut offizieller kuwaitischer Statistik lebten im April 1990, also vor dem Golfkrieg, 220.000 dieser Biduun im Scheichtum. In Wirklichkeit waren es wahrscheinlich mehr. Zwar wurden sie in die kuwaitische Gesellschaft integriert, sie galten aber gemeinhin als „Bürger zweiter Klasse“. Die Kuwaiter waren nicht bereit, ihre staatsbürgerlichen Privilegien mit ihnen zu teilen.
Die Behörden warfen vielen der Biduun vor, ihre ursprünglichen Ausweise und Dokumente versteckt zu haben und nun den Status der Biduun mit angeschlossenem Aufenthaltsrecht zu mißbrauchen. Viele von ihnen können aber mit Reisedokumenten und Militärpässen beweisen, daß sie in Kuwait geboren sind oder bereits seit Jahrzehnten dort gelebt haben.
Der Golfkrieg sollte zum einschneidenden Erlebnis für diese Biduun werden. Obwohl viele von ihnen in der kuwaitischen Armee gedient haben, wurden sie nach dem Krieg beschuldigt, mit der irakischen Invasionsarmee gemeinsame Sache gemacht zu haben. Die Folge: Wenige Wochen nach dem Golfkrieg sprach die offizielle kuwaitische Statistik nur noch von 17.000 Biduun im Land, also fast die Hälfte der Zahl vor der Operation Wüstensturm.
Der Rest war, manchmal mit dem Versprechen, eine irakische Staatsbürgerschaft zu erhalten, in den Irak geflohen. Andere wurden entweder als kuwaitische Armeeangehörige von der irakischen Armee verschleppt oder von den kuwaitischen Behörden als Kollaborateure ausgewiesen. Ihnen ist seitdem eines gemeinsam: Die kuwaitischen Behörden verweigern ihnen die Wiedereinreise. Mitte letzten Jahres legte die Regierung des Scheichtums schließlich einen Bericht vor, in dem sie laut darüber nachdenkt, wie das Problem zu lösen sei. Der Vorschlag: Die Biduun könnten temporäre Ausweise bekommen, die jährlich erneuert werden müssen. Seitdem ist nichts mehr geschehen.
Jetzt, so scheint es, hat ihre große Stunde geschlagen: Als Zivilisten können sie nur schwer mit militärischen Mitteln bei einem massenhaften Grenzübertritt aufgehalten werden. Gleichzeitig macht ihr Status auf die diskriminierende Politik des kuwaitischen Emirats aufmerksam – was Saddam Hussein sehr gelegen kommt. Für die irakischen Sicherheits- und Nachrichtendienste versprechen ihr Status und ihre nicht vorhandenen Dokumente unbegrenzte Möglichkeiten zur Teilnahme an einem Marsch über die Grenze. Karim El-Gawhary
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