: Als Sokrates die Passanten nervte
■ Philosophie zum Mitmachen — lernbar wie Radfahren: Die neugegründete „philosophische praxis“ mit Vorträgen zum Thema „Krieg“ in der Brotfabrik
Als eine „nützliche Besserwisserei“ beschrieb jüngst der amerikanische Philosoph Richard Rorty lapidar die besondere Kompetenz der Philosophen. Wozu sie allerdings nützlich sei, das wissen die akademischen Vertreter ihrer Zunft dem Publikum nur selten zu vermitteln, und in der Regel wollen sie das auch nicht. Kein Wunder, daß sie in der öffentlichen Meinung nicht gerade gut dastehen: Bestenfalls gelten sie als Profis der Reflexion, zumeist jedoch erscheint ihr Tun als sinnlose Begriffshuberei.
Das war nicht immer so. Als Sokrates einst in Athen auf dem Marktplatz saß und jeden, der ihm über den Weg lief, mit philosophischen Fragen nervte, war klar, daß Philosophieren keine belanglose akademische Disziplin, sondern eine öffentliche Praxis ist. Dieses sokratische Verständnis von Philosophie war es, das die Philosophen Stefan Münker, Alexander Roesler und Knut Sprenger vor wenigen Wochen dazu trieb, eine sogenannte philosophische praxis ins Leben zu rufen. Damit betreten sie zwar nicht ganz Neuland – in Deutschland gibt es immerhin schon gut dreißig solcher Praxen – doch ein so ehrgeiziges Programm wie die neue Berliner Praxis hat bisher keine vorgelegt.
Denn die für gewöhnlich angebotene philosophische Beratung für Einzelklienten, die, von philosophischen Fragen geplagt, sich eine Antwort von den Eingeweihten erhoffen, soll beleibe nicht der Schwerpunkt ihrer Arbeit sein. Für öffentliche Aufklärung im besten philosophischen Sinne wollen sie sorgen und damit endlich, so das Projekt gelingt, den Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit in die Wege leiten.
Da möchte man fast schon abwinken; ob's denn nicht auch eine Nummer kleiner gehe, frage ich die frischgebackenen Macher zum Konzept der Praxis. Ihre Auskunft leuchtet jedoch unmittelbar ein: Es sei doch einfach schöner, so Roesler, in einer Welt zu leben, in der die Öffentlichkeit von Philosophen beraten wird.
Den ersten Schritt in die Öffentlichkeit hat die philosophische praxis am Dienstag mit dem Vortrag von Münker in der Brotfabrik zum Thema „Krieg im Salon: Zur Bestimmung eines Begriffs“ erfolgreich hinter sich gebracht. Vier weitere Vorträge zum Thema Krieg, etwa am 8.11. zur „Ästhetik des Krieges“ und am 6.12. zur Frage nach dem „gerechten Krieg“, werden folgen, alle zwei Wochen jeweils am Dienstagabend. Zu erwarten sind keine spekulativen Überflieger, keine eitlen dialektischen Salti oder sonstige akademische Unsitten. Im Gegenteil: Die Leute sollen selber philosophisch denken lernen, und das wollen die Vorträge in Gang bringen. Denn das Übel, dem die drei Philosophen, die an der FU studiert und zum Teil promoviert haben, abhelfen wollen, lautet: „Es wird zu wenig philosophiert.“ Das liegt schlicht daran, daß die meisten es nicht können. Und dagegen kann man etwas tun. Schließlich läßt sich Philosophieren genauso lernen, wie man auch Radfahren lernen kann, man muß es nur oft genug üben. Und daß die drei Sokratiker der philosophischen praxis gute Lehrer sind, daran läßt ihr erster Auftritt keinen Zweifel.
Münker warf keine schmissigen Thesen in den Raum, sondern führte vor, was es heißt, philosophisch über den Krieg nachzudenken. Auf Fragen wie der nach dem prekären Verhältnis von Demokratie und Krieg gibt er keine abschließende Antwort, sondern zeigt, in bester philosophischer Praxis, welche Argumente im Spiel sind, wenn die eine oder andere Deutung vertreten wird. Ein bißchen Kant, ein bißchen Derrida, doch ansonsten kommt er ohne großartige Verweise aus.
Philosophie eben, wie sie selten ist: Philosophie zum Mitmachen und Anfassen. Das zeigte auch die anschließende, nicht enden wollende Diskussion mit dem Publikum. Statt um Meinungen gekämpft, wurde hier spielerisch mit Argumenten hantiert, mal mehr, mal weniger geübt.
Weitere Reihen, Seminare und Workshops der philosophischen praxis sind schon geplant, und auch wenn es bis in alle Ewigkeit so bleiben wird, daß es mehr Radfahrer auf der Welt als Philosophen gibt: Die Begründer der philosophischen praxis jedenfalls werden am Tage des Jüngsten Gerichts mit ruhigem Gewissen sagen können, sie hätten ihr Möglichstes gegen diesen Mißstand getan. Andrea Kern
Die Praxis Münker/Roesler/ Sprenger hat wieder geöffnet am 25.10. (Thema: „Vater aller Dinge – das Prinzip Krieg“), 8.11. (Thema: „Ästhetik der Grausamkeit: Kriege sind schön“), 22.11. (Thema: „Die stumme Erfahrung der Körper: Kampf als Lebenskunst“) und am 6.12. (Thema: „Der gerechte Krieg“), jeweils 20 Uhr, Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Weißensee.
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