piwik no script img

Etwas Widerspruch

■ betr.: „Krimis wie kreative Fach texte“, taz vom 4.10.94

Da Sie, wenn auch nur auf der letzten Seite, bezüglich Herrn Schlinks ins selbe Horn tuten wie die FR und weil mir „Selbs Betrug“ so auf den Keks gegangen ist, erlaube ich mir etwas Widerspruch:

„präzises, unangestrengtes, pointenreiches Deutsch“: generell kein Grund zur Aufregung: krimischreibende Juristen soll es schon gegeben haben (E.T.A Hoffmann, F. Kafka etwa), 70jährige Detektive vielleicht schon weniger, gut. Bloß: Wer hofft, daß mit einem Helden jenseits der branchenüblichen Altersgrenze auch der branchenübliche „machismo“ etwas gebremst daherkommt, wird enttäuscht: dem guten Onkel Detektiv wird leider ein schürzenjagender Busenfreund Philip beigesellt, der seine türkische Freundin („oho“!) Fürüzan „Fürzchen“ nennen darf und sich in abgewichsten Männerweisheiten ergeht („wie die Ohrläppchen, so die Brüste“ / „daß alle Frauen mit spitzem Kinn breite Hüften haben“).

Daß ebendieses „Alter ego“ des Helden es dann natürlich nicht schafft, die türkische Freundin zu heiraten, dafür vom Bruder abgestochen wird und im Krankenhaus, wo er mit dem „leeren Blick“ und dem „Duft“ der „jungen, hübschen Krankenschwestern“ nicht klarkommt, noch mal Soli-Punkte bei Männern einzuheimsen versucht, sei nur nebenbei, aber zur Abschreckung, gesagt.

Die Präzision der Sprache besteht, neben ausgebreiteten Ortsdetails [...], im Produkt-Namen- Dropping und einer unerträglich breitgetretenen Lifestyle-Correctness. Auch Philip Marlowe ließ uns gelegentlich wissen, in welcher Kneipe zu welcher Tageszeit er welchen Drink am liebsten zu sich nahm (Gimlet! Long Goodbye), seine Selbstverliebtheit ist aber bis zur Ironie zugespitzt.

Zugespitzt statt breitgetreten! kann ich nur wiederholen. Wenn diese Lifestyle-Scheiße nicht so trendy wäre (kommt zum Beispiel auch bei Linda Barnes vor), diese Kühlschrankinhalte, Menükarten, Zigarettenmarken („im Gefängnis aß ich Brezeln, Käse und Äpfel, trank Barolo und las Gottfried Keller“), bräucht' man sich nicht so aufzuregen.

Wenn uns ein Fremder deswegen sympathisch erscheint, weil er vom Detektiv ohne Zögern eine Zigarette mit seltenem Namen entgegennimmt, während der, der seine eigene Kippenmarke vorzieht, sich später als Arschloch herausstellt, dann kann man wahrhaftig von unangestrengtem Schreiben sprechen: solche Details liegen tatsächlich auf der Hand, Personen definieren sich ausschließlich durch ihr Konsumverhalten, wir müssen kotzen, wenn der Held ständig nur das ißt und trinkt, was wir auch gern mögen.

Vergiß es; für ein „pointenreiches“ Buch hätte doch überall mehr „Anstrengung“ notgetan, vor allem die, vom Schaum der Trendwelle wegzukommen, entweder nach oben, wo mehr Luft, oder nach unten, wo mehr Grund ist. Waldo Ellwanger

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen