piwik no script img

■ 13. Oktober 1989Kommuniqués

Während die Methoden beibehalten werden und die Zeitungen heute wieder gefüllt sind mit Akklamationen zur Erklärung des Politbüros vom Mittwoch abend, hat sich doch der Ton geändert. Beschimpfungen wie noch am gestrigen Tag – beispielsweise in einem Junge Welt- Artikel über Rolf Henrich („Henrich, mir graut vor dir“) – sind differenzierten und vorsichtig kritischen Wortmeldungen gewichen. Das Sammelsurium von Zuschriften, in der Berliner Zeitung auf der ersten und der dritten Seite, wirkt wie eine Mischung aus bestellten Meinungen und Leserbriefen besorgter Bürger.

Im ND werden eine Erklärung des Präsidiums der Akademie der Künste und das Kommuniqué der Präsidiumssitzung des Kulturbundes der DDR veröffentlicht. Beide drücken vor allem ihre Loyalität gegenüber dem Politbüro aus. Zwar finden sich auch vorsichtige Töne, aber die Angebote zum Dialog, von verschiedensten staatlichen Stellen in den letzten Tagen ausgesprochen, werden durch ihre gebetsmühlenartige Wiederholung schal. Seit heute werden sie systematisch mit einer Schelte westlicher Medien verbunden. Horst Hano, der ARD-Korrespondent in Ostberlin, als Drahtzieher: Als wenn der Mann, der mit seiner Sonnenbrille immer wie ein fetter Kojak mit Toupet wirkt, irgend jemanden dazu aufstacheln würde, aus Protest gegen die SED die Internationale zu singen.

Die Ambivalenz der Situation beginnt mir an den Nerven zu zerren. Während einerseits diese alten, dummen Ausreden hervorgekramt werden, erklärt der Generalstaatsanwalt Wendland andererseits, daß bis auf elf alle festgenommenen Demonstranten vom 7./8. Oktober wieder frei seien. Manfred Gerlach, der LDPD-Vorsitzende, veröffentlicht im Morgen eine Erklärung. Bezogen auf die Position des Politbüros heißt es da: „Was nützt es, wenn Unzulängliches auch noch vervollkommnet würde?“ Wolfram Kempe

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen