: Zusammenbruchssampling
■ Eine Ausstellung samt Kongreß über „Kultur-Pendler“ in Dresden
In Dresden nennen sie ihn „die Zitronenpresse“, den Kuppelsaal der Hochschule für Bildende Künste. Ein Provisorium: Von den Wänden bricht der Putz, der Boden ist mit einfachen Holzlatten ausgelegt, durch das gläserne Dach tropft Regenwasser. Irgendwann wird auch dieser Teil der Hochschule saniert werden. Aber noch ist der Saal eine romantische Ruine. Architektur im Wandel.
Das Flüchtige und Vorläufige dieses Raumes paßt zu dem Kunstprojekt, das dort gegenwärtig stattfindet. „Cultural Commuters – Kultur-Pendler“ heißt die Veranstaltung, die der belgische Künstler Jozef Legrand, seit einem halben Jahr Assistent an der Dresdner Kunsthochschule, ins Leben gerufen hat. „Kultur-Pendler“ ist Ausstellung, Workshop und Vortragsreihe in einem. Mitten im Raum steht ein Tisch, auf dem Unmengen von Zeitungen und Zeitschriften ausgebreitet sind. So unordentlich wie sie da liegen, geben sie ein treffendes Sinnbild ab für die Fülle von Informationen, die täglich produziert wird. Daneben befindet sich das Herzstück des Projekts: ein mit transparenter Plastikfolie bespannter Holzverschlag. Innen laufen drei Videomonitore, zwei Computer, ein Kassettenrekorder sowie ein Diaprojektor, und das alles gleichzeitig. Es ist der „Ausstellungsteil“ von „Kultur-Pendler“.
Der Projektor wirft abwechselnd Dias von Arbeiten des amerikanischen Künstlers Dennis Adams und der Berlinerin Ingrid Meyer an die Plastikwand, auf den Monitoren flimmern Filme von Gustav Hamos, Jose Van der Schoot und Jozef Legrand vor sich hin. Von Dennis Adams stammt eine Serie von Architekturfotos, die er in den Vorstädten von Marseille aufgenommen hat: Bilder von Zweckbauten des „Internationalen Stils“ der sechziger Jahre. Funktional, austauschbar – diese Gebäude könnten genausogut in jeder anderen Stadt stehen. Indem Adams sie schwarzweiß abgelichtet hat, hat er ihnen noch den letzten Rest von Individualität genommen.
Ingrid Meyer kombiniert auf computergenerierten Schautafeln Zitate aus Interviews, die sie mit Jugendlichen über deren Berufsvorstellungen geführt hat mit Stereotypen aus der Werbebranche. Titel: „About Careering“. Sein und Schein televisionärer Berichterstattung läßt der ungarische Filmemacher in seinem Video „The Real Power of TV“ Revue passieren. Der Zusammenbruch des Warschauer Pakts – das Fernsehen war dabei. Dazu läuft von einem Tonband Musik, die der Berliner Künstler Wieland Bauder gesampelt hat.
Sich auf eine der Arbeiten zu konzentrieren ist hier schlicht unmöglich. Die Reizüberflutung nervt – und ist doch Absicht, ein Abbild dessen, womit heute jeder einzelne, ob er es nun will oder nicht, alltäglich konfrontiert wird.
Was diese Werke gedanklich miteinander verbindet, ist die Frage nach der Beschaffenheit von kultureller Identität. Worin besteht diese Identität, und wie variabel sind solche Konstrukte? Dem auf den Grund zu gehen ist Ziel eines Symposiums, das in dieser Woche zum Abschluß des Projekts veranstaltet wird. Ulrich Clewing
„Cultural Commuters“, bis 16.10. in der HfBK Dresden. Vorträge über kulturelle Identität und kollektive Konflikte u.a. von Erno Vroonen, Chefredakteur der Kunstzeitschrift „artefactum“ (Antwerpen) und Matthias Flügge, „neue bildende kunst“ (Berlin).
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