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Kein Dinner mit Salman

■ Beautiful People – Reportagen von Irene Dische

Irene Disches Welt ist groß. Mit ihren Texten bedeutet die 42jährige dem staunenden Leser, daß sie sich nicht nur in New York, Washington, Moskau, London, St. Moritz, Frankfurt und Berlin, sondern sogar auf den Azoren prima auskennt. An solchen weltbekannten Orten trifft sie dann auch nicht auf Leute wie unsereins, sondern auf wichtige Menschen, in die sie sich oft und gerne hineinversetzt, um uns von deren Gefühlen und Plänen zu berichten: Susan Sontag, Schirinowski, Ignatz Bubis, Erich Honecker, der Erzbischof von Canterbury – wer zählt die Namen, nennt die Titel.

Irene Disches neuestes Buch „Die intimen Geständnisse des Oliver Weinstock“ versammelt 19 „wahre und erfundene Geschichten“. Fünf sind 1994 geschrieben, fünf sind Erstveröffentlichungen. Die meisten entstanden zwischen 1980 und 1990 und wurden bereits in Transatlantik, FAZ, Kursbuch und Zeit veröffentlicht.

Irene Dische ist in der besseren Gesellschaft zu Hause, bei den Gebildeten und Begüterten. In London zum Beispiel schnappte sie bei ihren Recherchen zu Rushdie folgendes auf: „Bei gewissen Worten denkt man in England sofort an Rushdie. Das geläufigste ist ,Dinner‘, zum Beispiel in dem Satz: ,Salman kann jetzt an meinen Dinnerparties nicht mehr teilnehmen‘ oder ,seine streng geheime Verabredung zum Dinner mit Salman Rushdie‘.“

Normalbürger kommen bei Irene Dische bestenfalls als statistisches Material vor: „Der Durchschnittsdeutsche (Ost) – statistisch gesehen also auch der Spitzel, denn ein Sechstel der ostdeutschen Bevölkerung soll zu irgendeinem Zeitpunkt die Stasi über die anderen fünf Sechstel informiert haben – sähe es gerne, wenn Honecker bestraft würde.“ Statistik ist immer gut, mag auch die Logik des Satzes recht verquer sein.

Vielleicht ist die immer gleiche Szene, in der sich die Gattin des Honecker-Anwalts Nicolas Becker zu bewegen scheint, nicht einmal das Hauptproblem. Die Anfang der 80er Jahre in Transatlantik erschienenen Texte über die reichen Juden in Deutschland (Immobilienspekulant Ignatz Bubis kommt hier vor), deutsche Emigranten in Washington Heights oder Atomraketen in der amerikanischen Povinz sind kleine Meisterwerke, die durch Detailreichtum und eine glasklare Sprache beeindrucken.

Sie leben von unglaublichen Widersprüchen ihrer Helden, die Dische nie aufzulösen versucht, wie etwa die vierzig Seiten über „die reichen Juden in Deutschland“. In diesen Texten nimmt sich die Autorin zurück, trotzdem spürt man ihre Anteilnahme.

Dies gelingt ihr nur in wenigen ihrer neueren Reportagen, am ehesten vielleicht noch in „Mittagessen mit Wladimir“ (Schirinowski). Manchmal – wie in einem Text, der auf den Azoren spielt – wirkt es so, als hätte Irene Dische inzwischen nur noch touristisch- professionelle Beziehungen zu den Orten und Helden ihrer Handlung. Freundlich gesprochen sind ihre Geschichten zeitlos, unfreundlich gesprochen vermißt man jeden Bezug zur Gegenwart.

Fatal wird es meist, wenn sie erfindet. Ihre Erzählungen holpern von einem Klischee zum nächsten: Ein treusorgender jüdischer Vater schickt seinen kleinen Sohn während der Nazizeit zum Großvater ins Ausland. Jeden Tag schickt der Vater, der sich im Widerstand engagiert, seinem wartenden Sohn liebe Briefe. Pointe: Der Großvater, der sich am Ende umbringt, schrieb die Briefe, den Vater hatten die Nazis längst umgebracht.

Oder: Ein Dramenschreiber, der kein Wort mehr aufs Papier kriegt, fackelt den Ku'damm ab. Wieso, weshalb und wie? Man erfährt es nicht.

Oder: Heather, eine junge Irin, arbeitet in St. Moritz als Au-pair- Mädchen. Sie hatte es sich interessanter vorgestellt. Jeden Tag ruft ihr Ex-Freund aus Miami an und berichtet begeistert, wie toll es dort sei. Pointe: Er war gar nicht in Miami, sondern rief neidisch aus dem heimischen Belfast an. Wenn Irene Dische die Szenarien der besseren Gesellschaft verläßt, verzichtet sie nur selten aufs kalkulierte Klischee.

In der Liebesgeschichte zwischen einem berühmten Bio- oder Chemieprofessor (mit arisch aussehendem Kopf) und seiner jungen Studentin ist die Beschreibung der studentischen Wohnung schon fast unglaublich stereotyp: Die Bücher sind in Pappkisten, eine Apollinaris-Kiste dient als Tisch, nackt ist der graue Fußboden, an den Bettbezügen baumelt noch das Bilka- Preisschild, in der Ecke liegt eine Luftmatratze, aus „Melittatassen“ (gibt's die überhaupt?) trinkt man Tee, und „eine Glühbirne, deren Kabel mit Klebestreifen an der Wand befestigt ist“, schaut herab auf das Paar, das auf dem Boden sitzt.

Und „der liebe Günther“, wie sie ihren Helden herablassend nennt, „kann seine Leidenschaft nicht zurückhalten“. Nun ja. Detlef Kuhlbrodt

Irene Dische: „Die intimen Geständnisse des Oliver Weinstock“. Rowohlt Berlin, 314 Seiten, geb., 36DM.

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