: Atombehörden müssen Englisch lernen
Verstößt das geplante Zwischenlager für radioaktive Stoffe in Lubmin gegen geltendes EU-Recht? Rechtsanwälte der Bürgerinitiative Greifswald legen Beschwerde ein ■ Von Niklaus Hablützel
Berlin (taz) – Das Recht der Europäischen Union gilt auch in Lubmin. Nur ist es dort ziemlich unbekannt. Ende Juli hat die Verwaltung des Kreises Großvorpommern trotzdem einen Antrag genehmigt, in dem Badeort an der Ostseeküste Lagerhallen für alle Arten radioaktiver Stoffe zu bauen. Der Fall wird nun die Europäische Kommission in Brüssel beschäftigen. Die Rechtsanwälte Christian Heitsch und Wolfgang Baumann haben im Auftrag der „Bürgerinitiative Kernenergie Greifswald e.V.“ eine Beschwerde eingelegt und wollen eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland in die Wege leiten.
Durchaus mit Absicht betreten die Juristen dabei rechtliches Neuland. Sie werfen dem Landratsamt vor, es habe zu Unrecht angenommen, das Lubminer Projekt sei eine „Anlage zur Aufnahme und Bearbeitung radioaktiver Abfälle“. Für solche Einrichtungen ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung nach EG-Recht nicht zwingend vorgeschrieben. Wohl aber wäre das der Fall, handelte es sich um ein „Endlager“.
Dergleichen ist bislang tatsächlich nicht beantragt, die Genehmigungsbehörde könnte sich trotzdem in einem linguistischen Rechtsirrtum befinden. Die englische, ebenso verbindliche Fassung des EG-Gesetzes unterscheidet nämlich zwischen Anlagen, die dem „dauerhaften Lagern“ (permanent storage) radioaktiver Stoffe dienen, und Einrichtungen, in denen sie nur „gesammelt“ oder „behandelt“ werden (collection or treatment). Für die einen ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgeschrieben, für die anderen nicht. Ob nun radioaktive Stoffe in Lubmin, wie geplant, mindestens 40 Jahre lang „permanent“ (wenn auch nicht „endgültig“) lagern, oder nur „gesammelt und behandelt“ werden – die Klärung dieser offenen Rechtsfrage dürfte jede Kreisbehörde weit überfordern.
Das freut die Anwälte. Das Verfahren wird Jahre dauern, in denen das Investitionsrisiko der Atomindustrie wächst. Wolfgang Baumann und Christian Heitsch haben einst gegen die Wiederaufbereitungsanlage von Wackersdorf geklagt. Gut möglich, meinen sie jetzt, daß auch die Antragssteller von Lubmin das Projekt aufgeben, lange bevor der Europäische Gerichtshof entscheidet. Auch Atomfans setzen ihr Geld nicht mutwillig in den Sand.
200 Millionen sollen die genehmigten Bauten kosten, meint ein Sprecher der Treuhandtochter „Energiewerke Nord“. Er wird umlernen müssen. Schon vor ihrer Beschwerde an die EU haben die Anwälte Widerspruch im Kreisamt Greifswald eingelegt, Anfang November wollen sie Einsicht in die Akten nehmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen