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„Er will drei Koka, drei Hero“

Unter den Augen der Öffentlichkeit wird auf der Potsdamer Straße und am Kottbusser Tor mit Heroin und Koks gehandelt / Polizei bekommt den Handel trotz täglicher Kontrollen nicht in den Griff  ■ Von Peter Lerch

Montag, 14 Uhr, U-Bahnhof Bülowstraße. Unter der schmutzig-grünen U-Bahnüberführung, direkt am Ausgang, steht Manne*. Der 30jährige mit den verfilzten Haaren, der seit mehreren Wochen keine Badewanne gesehen hat und selbst nach Maßstäben anderer Junkies als besonders versifft gilt, hinkt mit offenen Schnürsenkeln auf einen jugendlichen Passanten zu. Hoffnungsvoll zupft er ihn am Ärmel: „Brauchst du was?“ Betonung auf „was“. Das knappe Nicken des Angesprochenen genügt, um Manne Lobeshymnen über das „Dope“ von Mehmet* zu entlocken. „Eh, das ist das beste Zeug, das hier zu haben ist. Hab' es selbst probiert. Wieviel willst'n? Komm, ich bring dich hin“, drängt er den Kunden, der schließlich widerstrebend mitgeht.

Mannes Eifer, den potentiellen Käufer mit dem Dealer zusammenzubringen, ist verständlich. Denn als „Vermittler“ kriegt er von Mehmet für jeden Kunden, den er anschleppt, eine Provision. Ein Päckchen Kokain oder Heroin, ganz nach Wunsch.

Mehmet, der auf der anderen Straßenseite mit zwei Begleitern vor dem Eingang einer türkischen Bäckerei steht, versucht unbeteiligt auszusehen. Er ist gut gekleidet, hat einen gepflegten Haarschnitt und trägt um den Hals zwei voluminöse Goldketten. Statussymbol und Kapitalanlage für Notzeiten, falls er mal hoppgenommen wird und im Knast landet.

Inzwischen ist Manne mit seinem Kunden vor dem Laden angekommen. „Er will drei Koka, drei Hero“, sagt Manne und hält die Hand auf. Auch Mehmet hält die Hand auf. Um die sechzig Mark zu kassieren, die der Käufer für die sechs Päckchen bezahlen muß. Päckchen, von denen ein Süchtiger zwei oder drei benötigt, wenn er einen Kick kriegen will. Nachdem er das Geld nachgezählt und die Scheine mit weltmännischer Geste in die Hosentasche geschoben hat, knurrt er irgendwas auf türkisch. Seine beiden Begleiter gucken sich vorsichtig um und spucken die in Cellophan eingeschweißten Rauschgiftportionen in die Hände. Mit dem Ratschlag, die Päckchen sicherheitshalber am besten auch gleich in den Mund zu nehmen, geben sie dem Käufer die Kügelchen. Auch Manne nimmt seine „Vermittlungspäck'n“ in Empfang und geht zurück zu seinem Platz am Bahnhofsausgang.

Mehmets Begleiter fungieren als lebende „Bunker“ und bewahren die in dünnes Cellophan wasserdicht eingeschweißten Rauschgiftportionen im Mund auf. Vielleicht zwanzig oder dreißig Kügelchen: genug, um nicht wegen jedes zweiten Käufers an das in der Nähe gelegene Depot gehen zu müssen, aber auch nicht zuviel. Schließlich müssen die beiden Begleiter im Falle einer Razzia in der Lage sein, die Drogen blitzschnell runterzuschlucken.

Schlechte Chancen für die Polizei, die am Bülowbogen/Potsdamer Straße täglich Personenkontrollen durchführt. Ein Zeremoniell, daß auf Zuschauer wie eine Veranstaltung anmutet, die keiner der Beteiligten wirklich ernst nimmt. Die Dealer vom Schlage eines Mehmet, von denen in guten Zeiten etwa zehn bis zwölf gleichzeitig ihr Dope anbieten, kennen die „Zivis“ und deren Methoden. Und die Fahnder kennen die Dealer und wissen, daß diese ihnen meist durch die Lappen gehen. Warum also überhaupt Einsätze gegen Rauschgifthändler und Konsumenten? Nur um polizeiliche Präsenz zu zeigen? Oder um die Szene in Bewegung zu halten?

„Von allem etwas“, sagt Kurt Richter, der Referatsleiter der Abteilung Verbrechensbekämpfung der Polizeidirektion vier, die für den Bereich Potsdamer Straße zuständig ist. Die Hauptzielrichtung seiner Einsatzgruppen sei es, Dealer festzunehmen. Fast täglich, so der Referatsleiter weiter, führten seine Leute Personenkontrollen durch. Dabei nehme man auch Konsumenten fest, um Zeugen und Beweismittel gegen die Händler zu haben. Für Kurt Richter prophylaktische Maßnahmen, ohne die der Drogenhandel an dieser Stelle weiter ausufern würde.

Der taz gegenüber räumte er ein, daß gerade auch die Taktik der Händler, ihre Drogen runterzuschlucken, die Beweismittelsicherung und damit das Vorgehen gegen die Dealer schwieriger gemacht habe. Daß die Drogenhändler die eingesetzten Zivilfahnder inzwischen kennen, liege daran, daß er nicht genug Personal habe. Kurt Richter weiter: „Um so erstaunlicher ist es, daß die Fahnder trotz der Bekanntheit immer wieder Erfolge haben und Dealer dingfest machen können.“

Während die Drogenszene am Bülowbogen fest in orientalischer Hand ist – die Dealer sind ausschließlich Türken, Araber und Libanesen –, wird der Drogenhandel fünf U-Bahn-Stationen weiter überwiegend von deutschen Dealern bestritten. Hier, am Kottbusser Tor in Kreuzberg, wird so gut wie nie Kokain angeboten. Die Heroinpäckchen sind außerdem dreimal so groß wie am Bülowbogen und kosten zwischen dreißig und vierzig Mark.

Der „Kotti“ ist für den 27jährigen Steve*, der sich hier, von mehreren Knastaufenthalten abgesehen, seit Jahren als Vermittler durchschlägt, so etwas wie eine zweite Heimat. Bei den häufig wechselnden Heroinhändlern ist der durchaus gepflegt wirkende Arbeitslose als tüchtiger Vermittler bekannt. Dadurch hat er immer Arbeit. Für vier Kunden kriegt er ein Päckchen als Provision. Da er häufig mehr als zwanzig Käufer täglich anschleppt, hat er stets genügend Dope für sich und kann sogar noch etwas weiterverkaufen.

Was ist seiner Meinung nach der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Szenen? Steve macht eine abfällige Handbewegung. „Der Bülowbogen is' doch echt 'ne Pennerszene! Die Mufties mit ihren Winzepäckchen ... hat doch kein Mensch was davon. Gut, hier gibt's zwar manchmal krumme Typen, die dir Grütze verkaufen, aber da muß man halt aufpassen“, sagt er und wendet sich bereits dem nächsten Typen zu, der aussieht, als wolle er Heroin kaufen.

Steve führt den Mann drei Meter weiter zu seinem Dealer, der zwischen den beiden Kiosken auf den Stangen der Fahrbahnbegrenzung hockt und gelangweilt ein Bündel Geldscheine nachzählt. Von der Wanne mit den Bereitschaftspolizisten, die ein Stück weiter vorne auf dem Platz steht, zeigt sich keiner beeindruckt. „Wenn die aussteigen“, sagt Steve, „ist immer noch genug Zeit, sich zu verziehen. Schlimm sind bloß die Zivis, die hier dauernd rumlungern. Aber die waren heute morgen schon da.“

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