„Der Trieb war halt stärker“

■ Flachslanden-Prozeß: 12 Jahre für Angeklagte gefordert

Ansbach (taz) – „Ich soll Ihnen sagen, daß es ihr leid tut.“ Statt der 35jährigen Angelika T. spricht ihr Verteidiger das letzte Wort vor dem Urteil gegen die Hauptangeklagte des Kindermißbrauchskandals von Flachslanden. Jetzt weint die Mutter von sechs Kindern, die noch eine Stunde zuvor unbekümmert dreinblickte, als der Staatsanwalt vor der Jugendkammer des Ansbacher Landgerichts eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren wegen vielfachen sexuellen Mißbrauchs an Kindern, sexueller Nötigung und Vergewaltigung forderte. Von allen Gutachtern war die Angeklagte als „grenzdebile Persönlichkeit“ eingestuft worden. Grund genug für ihren Verteidiger, statt einer Gefängnisstrafe die Unterbringung in eine psychiatrische Einrichtung zu verlangen.

Die 35jährige und ihr 54jähriger Ehemann Rudi T. stehen im Mittelpunkt der bislang größten Prozeßserie um sexuellen Mißbrauch von Kindern. In dem kleinen Dorf in Mittelfranken sollen 21 Erwachsene über Jahre hinweg neun Kinder massiv sexuell mißbraucht haben. Hauptopfer sind die vier Töchter von Angelika T., die älteste war zu Beginn der Taten gerade mal 9 Jahre alt.

Schon zu Beginn des Verfahrens hatte ihr Verteidiger, der Rechtsanwalt Hubertus Werner, darauf hingewiesen, daß er seine Mandantin für schuld- und verhandlungsunfähig halte. Er beantragte die Einstellung des Verfahrens. Die Begriffsstutzigkeit der Angelika T. machten eine sachgerechte Verteidigung unmöglich. Ein Gutachter bestätigte daraufhin zwar, daß die Intelligenz der Angeklagten im Grenzbereich der Debilität zu verorten sei, Konzentrationsfähigkeit, Belastbarkeit und Erinnerungsvermögen lägen jedoch im Normbereich.

In nichtöffentlicher Sitzung legte die Angeklagte ein umfangreiches Geständnis ab. Den Vorwurf, ihre Kinder zur Prostitution freigegeben zu haben, bestritt sie jedoch vehement. Die Angeklagte gab zu, daß es ihr Spaß gemacht habe, sich von ihren Kindern oral befriedigen zu lassen und daß es sie sexuell stimuliert habe, wenn andere Männer mit ihren Kindern verkehrten und sie dabei zusehen konnte.

Hanns-Günther Koslowsky, Verfasser des psychiatrischen Gutachtens, ist nach den Gesprächen mit der Angeklagten davon überzeugt, daß sie sich „jederzeit im klaren über Recht und Unrecht“ gewesen sei. Sie habe sich aber darüber hinweggesetzt. „Der Trieb war halt stärker“, habe sie ihm achselzuckend gestanden. „Zur Befriedigung ihres Sexualtriebs schien ihr jedes Mittel recht gewesen zu sein.“ Koslowsky zufolge sei die Einsichtsfähigkeit über das Unerlaubte ihres Tuns nicht erheblich beeinträchtigt, wohl aber ihre Steuerungsfähigkeit. In seinem Plädoyer ging auch Staatsanwalt Hüttner davon aus, daß die Frau strafrechtlich verantwortlich sei. Sie sei zwar erheblich labil und beeinflußbar, aber sie könne „auch Nein sagen“. „Ein einziges Wort von ihr hätte genügt, um dem Treiben Einhalt zu gebieten.“ Ihre Mittäter hätten die „völlig unverständliche Preisgabe der Kinder als Sexualobjekt ausgenutzt“. Und ihr kurzfristiger Lustgewinn sei ihr „weitaus wichtiger gewesen als das Wohl ihrer Kinder“. Die ihr attestierte Einschränkung der Steuerungsfähigkeit enge zwar den Strafrahmen ein, strafverschärfend sei aber die Schädigung der Kinder zu werten. Strafmildernd schlage zu Buche, daß sie mit ihrem frühzeitigen Geständnis wesentlich zur Aufklärung der Mißbrauchsserie beigetragen habe.

Sollte das Gericht in seinem für kommenden Mittwoch angekündigten Urteil von einer Schuldfähigkeit von Angelika T. ausgehen, beantragte ihr Verteidiger Werner, die Frau noch einmal begutachten zu lassen, dieses Mal von einem qualifizierten Sexualpathologen. Angelika T. sei von ihrer Mutter nicht gewollt worden, sie sei wegen Verwahrlosung ins Heim gesteckt worden und hätte nie mütterliche Zärtlichkeiten gekannt. „Diese Mutter wußte nicht, daß dies Unrecht gewesen ist, das ist ja das Erschütternde an dem Verfahren.“ Sie hätte den Männern nur Sexualität zu bieten gehabt und habe immer wieder gemerkt, „wie wahnsinnig die Männer im Dorf darauf reagiert“ hätten. In Flachslanden, im ganz persönlichen Umfeld der Angeklagten, sei der „Wahnsinn zur Normalität“ geworden. „Wie soll da eine Schwachsinnige das Unrecht ihres Tuns erkennen ...“ Bernd Siegler