: Allerbeste Absichten im Kompetenzwirrwarr
■ Die Politiker wollen zugleich die Polizeipräsenz erhöhen und Personal abbauen
Besuche in den Außenbezirken? S-Bahn-Fahrten, um die Landschaft zu betrachten? Heimfahrten ins Asylbewerberheim? Ein Waldspaziergang in Ahrensfelde? Das alles ist nötig. Aber die Fahrt mit der S-Bahn ist gefährlich geworden. Als Opfer kommen alle in Betracht. Die weiße Hautfarbe bietet keinen Schutz mehr, auch nicht das männliche Geschlecht. Nicht das Alter oder die Schönheit. Gleichheit in der Angst. Da kann es noch so richtig sein, daß statistisch betrachtet die Gefährdung in den öffentlichen Verkehrsmitteln marginal ist – der Ziegelstein, der einem auf den Kopf fallen kann, ist eben weniger beängstigend als eine angetrunkene Jugendgang. Und so gilt es, die Angst zu begrenzen und die Gefahr weiterer Übergriffe zu mindern.
Die Meldungen der vergangenen Wochen haben die Zuständigen auf die Beine gebracht. Aber wer sind die Zuständigen? Auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Bundesbahnen (und dazu gehören die Berliner S-Bahnen) hat der Bundesgrenzschutz (BGS) die Aufgabe, „Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren“. Das hat er auch bislang schon mit einer Truppe von rund 500 Mann versucht. Verteilt auf sämtliche Schichten, sind das im Ergebnis nur rund 50 Personen, die jeweils tätig werden. Eines der jetzt erkannten Probleme ist jedoch nicht nur der Personalmangel, sondern vor allem die schlechte Koordination zwischen Polizei, BGS und privaten Sicherheitsdiensten. Das soll sich nun ändern. Eine Ad- hoc-Arbeitsgruppe mit der Deutschen Bahn AG (dem Träger auch für die S-Bahnen), dem BGS und der Berliner und Brandenburgischen Polizei soll in Zukunft ein besseres Zusammenwirken gewährleisten.
Wie das konkret aussehen soll, ist allerdings nicht in Erfahrung zu bringen. Der gute Wille ist da – „Wir kooperieren“, heißt es bei der Deutschen Bahn AG –, allein es fehlt das Konzept.
Dies will der Berliner Innensenator Dieter Heckelmann erarbeiten, der in einer wortreichen Presseerklärung die Übernahme der „Koordinierung der Sicherheitsmaßnahmen“ mitteilt und für eine sichere S-Bahn-Zukunft Gewähr leisten will. Auch der frisch wiedergewählte Brandenburger Innenminister Ziel gab einen Erlaß heraus, der „eine möglichst intensive Präsenz von Polizeibediensteten im Dienstanzug und in bürgerlicher Kleidung“ in Bussen, S- und Straßenbahnen verlangt.
Gleichzeitig vermeldet allerdings die Gewerkschaft der Polizei (GdP) eine Neuigkeit, die von den Politikern in Berlin und Brandenburg nicht mitgeteilt wird: Bundesinnenminister Manfred Kanther will die Personalstärke der Bahnpolizei für die Bundesländer Berlin, Brandenburg und Sachsen um 170 Beamte reduzieren.
„Das ist nicht mehr nachvollziehbar“, meint der stellvertretende Landesvorsitzende der GdP, Peter Kirsten, „da nach wie vor zu befürchten ist, daß S-Bahn-Terroristen Straftaten bis hin zu Mordversuchen begehen.“ Es gehe nicht an, sagt sein Pressesprecher Klaus Eisenreich, „daß sich der Staat in jenen Bereichen, in denen er das Gewaltmonopol besitzt, aus der Verantwortung zieht und dann für Millionen von Mark private Sicherheitsdienste engagiert“. Und diese haben keine polizeilichen Befugnisse. Im besten Fall vermitteln sie mit ihren Schäferhunden das Gefühl von Schutz.
Bei diesem Sachstand mutet es merkwürdig an, wenn der Berliner Innensenator von höherer Streifenpräsenz, besseren Kommunikationswegen und davon spricht, daß „die S-Bahn aufhören wird, ein Freiplatz für rechtsradikale Terrorgruppen zu sein“.
Es mangelt schon am allerwenigsten. Von den Bahnhöfen auskann man weder die Polizei noch die Feuerwehr anrufen. Zwar gibt es ein bahneigenes Telefonnetz, dies kann aber weder mit der Polizei noch mit anderen, zum Beispiel den privaten, Sicherheitsdiensten kommunzieren. Selbst der BGS und die Polizei können nicht miteinander in Kontakt treten. Es gibt weder Notrufsäulen noch Alarmknöpfe in den Wagen oder auf den Bahnhöfen. Allein die Notbremsen funktionieren, und die haben den Nachteil, daß die S-Bahn dann auf freier Strecke stehenbleibt, wo Hilfe noch ferner ist als auf den Bahnhöfen selbst. Zumal die Vergangenheit gezeigt hat, daß Passagiere sich nicht einzugreifen trauen.
Aber für die technischen Verbesserungen ist der Träger selbst, die Deutsche Bahn AG, zuständig. Und die ist bislang damit beschäftigt zu erwägen, ob vielleicht Videokameras eingesetzt werden könnten. Über Notrufknöpfe und -säulen, über Telefone, über Gegensprechanlagen hat man dort bislang nicht nachgedacht. Erst die Wagen, die ab 1996 neu eingesetzt werden, sollen mit Sprechanlagen ausgestattet sein, die ein Gespräch zwischen den Passagieren und dem Zugführer ermöglichen. Der kann dann wiederum den nächsten Bahnhof verständigen. Julia Albrecht
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