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Nordirland an der Schwelle zur Versöhnung

■ Nach der IRA strecken auch die Protestanten die Waffen, um bei den bevorstehenden Verhandlungen mitreden zu dürfen / „Echtes Bedauern“

London (taz) – Sechs Wochen nach dem Waffenstillstand der katholischen Irisch-Republikanischen Armee (IRA) haben Nordirlands protestantische Loyalisten gestern ebenfalls einen Gewaltverzicht erklärt. In einer als „beispiellos“ angekündigten Pressekonferenz in Belfast erklärten Sprecher der beiden wichtigsten bewaffneten Gruppen der nordirischen Protestanten, Ulster Volunteer Force (UVF) und Ulster Defence Association (UDA), alle Militäroperationen würden ab Freitag null Uhr eingestellt. Der Waffenstillstand sei „ebenso dauerhaft wie der von der IRA“, sagten sie: „Wir stehen an der Schwelle zu einem aufregenden Neuanfang.“ Ein Sprecher, der selbst schon einmal wegen Mordes verurteilt war, sprach den Hinterbliebenen der mehreren tausend Bürgerkriegsopfer Nordirlands „echtes Bedauern“ aus.

Die loyalistischen Organisationen Nordirlands rekrutieren sich aus der protestantischen Bevölkerungsmehrheit Nordirlands und kämpfen für den Verbleib der Provinz bei der britischen Krone, während die katholische IRA für ein vereintes Irland kämpft. Die Loyalisten sind für ein knappes Drittel der politischen Morde in Nordirland verantwortlich. In den vergangenen drei Jahren haben sie mehr Menschen als die IRA getötet. Nach dem Gewaltverzicht der IRA fürchteten sie offenbar, ins politische Abseits zu geraten. „Wir hatten von der IRA gelernt, daß sich Gewalt auszahlt“, sagte vor kurzem ein UDA-Mitglied in einem Interview.

Erwartet werden nun Garantien der britischen Regierung. Protestantische Politiker erklärten bereits zuversichtlich, der bisher noch unveröffentlichte neue Rahmenplan der britischen Regierung für Nordirland enthalte nichts, wovor Unionisten Angst haben müßten. Offenbar sind sie sich aber nicht völlig einig. Der rechtsradikale Protestantenpfarrer und Parlamentsabgeordnete Ian Paisley schäumte bereits, die politischen Arme der UVF und UDA – zwei relativ neue Parteien, die die gestrige Pressekonferenz einberufen hatten – hätten kein Recht, für die gesamte protestantische Bevölkerung zu sprechen.

Der britische Premierminister John Major bezeichnete die Gewaltverzichtserklärung auf dem Tory-Parteitag in Bournemouth als „extrem gute Nachricht“, fügte jedoch hinzu, daß man „das Vertrauen aller Menschen in Nordirland bewahren“ müsse. „Wir werden die loyalistische Erklärung analysieren, abwägen und dann sorgfältig entscheiden, welchen Schritt wir tun können“, sagte er. Major sitzt zwischen den Stühlen: Eine Gruppe konservativer Delegierter, die eine Versöhnung mit der IRA ablehnt, drängt ihn, Nordirlands Platz im Königreich „ein für alle Mal“ zu garantieren. Peter Temple- Morris vom angloirischen Parlamentsausschuß verlangt hingegen von Major, endlich die Dauerhaftigkeit des IRA-Waffenstillstands zu akzeptieren, damit die dreimonatige „Dekontaminierungsphase“ vor der Aufnahme formeller Gespräche beginnen kann.

Öffentlich ziert sich Major noch, Stellung zu beziehen; der Staatssekretär im Nordirlandministerium, Michael Ancram, räumte jedoch ein, daß die Aufnahme von Gesprächen mit der IRA unmittelbar bevorstehe. Tom Hartley, der Vorsitzende von Sinn Féin, dem politischen Flügel der IRA, begrüßte denn auch den loyalistischen Waffenstillstand, weil er „ein Klima schafft, in dem ein Dialog stattfinden“ könne. Er sagte: „Das eröffnet Möglichkeiten, die uns vor sechs Wochen noch nicht offenstanden.“ Optimistisch ist auch Irlands Premierminister Albert Reynolds. Er erwartet nun, daß „es niemals wieder Gewalt in den politischen Auseinandersetzungen auf dieser Insel geben“ werde. Ralf Sotscheck

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