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Besser Frohsinn als Überzeugung

■ In einer Konditorei hat Lotti Huber ihre neue CD „Für Euch“ vorgestellt

Die massive Muse ist vergrippt und fühlt sich „halbtot“ – und rauscht mit einem dreisitzigen Motorrad zum Tête-à-tête mit den Berichterstattern. Lotti Huber, die allumfassende Magna Mater, ist inzwischen 82 Jahre auf dieser Welt, gewisse Gewohnheiten hat sie beibehalten.

Lotti liebt die Attitüden. Mit polternder Dramatik und großen Gesten inszeniert das nur einen Meter fünfzig kurze Gesamtkunstwerk 24 Stunden am Tag sich selbst. Wenn sie redet, flattern die Hände und schweben und schreiben Gefühle in die Luft. Wallende Gewänder trägt sie, das eisengraue Haar ist zu einem Dutt nach Ballerina-Art aufgetürmt. Dicke Klunker an Ohren und Fingern, die Lippen rot konturiert, und sie schert sich einen Dreck darum, daß sie lispelt. Ein Ensemble, das nach Beachtung schreit. Lotti Huber, Lebenslust in Person.

Die Person hat in eine Charlottenburger Konditorei geladen, um ihre neueste, die inzwischen zweite CD zu präsentieren. „Für Euch“ lautet der päpstliche Titel, und sie will ihn auch so verstanden wissen. Lotti, die Menschenfreundin. Früher, plappert sie ohne Punkt und Komma drauflos, sei sie vollauf damit beschäftigt gewesen, zu leben. „Heute denke ich nach.“ Behauptet sie. Und es ist reine Koketterie, Nonchalance. Darin ist sie übrigens firm, denn als sie Anfang der 60er Jahre von London nach Berlin übersiedelte, leitete sie mehrere Jahre eine Art Schule, in der sie Frauen Charme eintrichterte.

Höchst erfolgreich stellt die singende Seniorin aus Kiel die Gesetzmäßigkeiten der Showbranche auf den Kopf. Sie ist multimedial tätig und bestens im Geschäft. Sie schreibt, souffliert, spielt Schau. Und sie singt. Sie singt, und in dieser Hinsicht unterscheidet sie nichts von Trachtengruppen, nach der Devise: Frohsinn kommt besser als Überzeugung. Sie liebt das Groteske, und so intoniert sie vorzugsweise Geschichten, in denen das Pathos in Komik umschlägt. Manchmal funktioniert das, manchmal trällert sie aber auch daneben.

Aber selbst noch die ungeschicktesten Songs, die die Grenze zum triefenden Kitsch längst hinter sich gelassen haben, kann man ohne Folgeschäden anhören. Das Erzählen ist ihre Stärke, nicht das Singen. Und vielleicht hat man ihr ja dafür den Bundesverdienstorden um den Hals gehängt. Auf jeden Fall das passabelste Lied ist Lied Nummer 6, es heißt „Beschwipst“ und ist, Lotti sei Dank, eine Minute und 19 Sekunden lang. In der Kürze liegt die ..., und so weiter.

Nicht nur deshalb ist „Beschwipst“ so rauschig. Sondern auch, weil Lotti darin so lallt, kichert, blödelt und lispelt, wie sie es wohl tut, wenn nicht 15 Mikrofone die Sicht auf ihr Gesicht verstellen. Wenn sie die wahren Freunde in ihrer sechszimmrigen Gründerzeitwohnung mit Tintenfisch- Soufflé bewirtet. Weltbewegend sind die Dinge nicht, von denen uns Lotti Huber in Kenntnis setzt. Aber was bewegt die Welt? „Probleme, die sich von Generation zu Generation übertragen“, sagt die Diseuse und becirct den Berichterstatter mit ihrem Augengeklimper.

Die Einfälle für die einfältigen Songtexte schreiben das Leben und Lotti Huber, das Orakel von Charlottenburg. „Oft rufen bei mir Leute an, alle zwischen 12 und 120, und sagen, ,ach Lotti, ich bin so unglücklich, was soll ich tun?‘“ Lotti wimmelt nie ab, wenn es sich denn bei den Anrufern um Freunde handelt, und vertieft die fernmündliche Analyse. „Fast immer kommt dabei heraus“, sagt sie, „daß es bei den Leuten im Bett nicht stimmt.“ Sex ist wichtig, lautet das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage Lottis unter ihren Freundinnen und Freunden. Und so entstehen Songs nach Art von Erika Berger (Lied Nummer 7): „Sprichst du nur über Poesie / Hältst du deinen Partner nie / Gehst du nur mit ihm spazieren / Wirst du ihn sehr bald verlieren / Das absolute Muß – ist der Koitus / Das absolute Muß – ist der Koitus.“ Thorsten Schmitz

Lotti Huber: „Für Euch“, Tontown, SPV 84-21 252 CD, ca. 29 Mark. Sein Freiexemplar will Thorsten Schmitz gerne verschenken – am Montag ab 10 Uhr unter 25902 250 anrufen!

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