Wir sind hier alle ganz happy

■ Alle freuen sich: Die Grünen freuen sich, wieder drin zu sein, die CDU freut sich über Machterhalt, die SPD über vier Prozent plus, die FDP über vier Prozent minus und die PDS über die Direktmandate...

Alle freuen sich: Die Grünen freuen sich, wieder drin zu sein, die CDU freut sich über Machterhalt, die SPD über vier Prozent plus, die FDP über vier Prozent minus und die PDS über die Direktmandate. Wir berichten aus den Parteizentralen

Wir sind hier alle ganz happy

„Bei 5,1 gibt es schon mal den ersten Sekt“, war der Tenor im Bundesvorstand von Bündnis 90/Grünen noch kurz vor dem Wahlabend. Schon bei der Prognose konnte die Flasche geknackt werden. Doch obwohl die Grünen – wie Ludger Volmer, Sprecher der Partei, nicht müde wurde zu betonen – die erste Partei der Bundesrepublik sind, die den Wiedereinzug in den Bundestag schaffte, war der Jubel doch eher verhalten. Das änderte sich auch nach der ersten Hochrechnung nicht. Zwar wurden die Bundesvorstandsleute heftig beklatscht, als sie um kurz vor 18.30 Uhr ins Foyer der niedersächsischen Landesvertretung kamen, in der die Partei den Wahlabend feierte. Doch die Stimmung insgesamt blieb eher verkrampft.

Kann die Partei den knappen Vorsprung vor den Freidemokraten halten, den die ersten Hochrechnungen versprachen? Gibt es noch eine Chance für den Wechsel in Bonn, wenn die Koalition ihren extrem knappen Vorsprung der Mandate verliert? Henry Selzer, Bundesschatzmeister der Grünen, der aus dem Saarland kommt, zitterte erst einmal noch um seinen Landesverband. Insgesamt waren die Hochrechnungen der Landtagswahlen kein Grund zur Euphorie. Absturz in Thüringen, Absturz in Mecklenburg-Vorpommern, schwache Chancen im Saarland, da hatte man sich insgesamt doch mehr erhofft.

„Da kann man doch ganz anders Politik machen“

Schon bei der zweiten Hochrechnung in beiden Fernsehkanälen Rufe der Enttäuschung. „Muß das denn sein“, so der Seufzer im Gedränge, als die FDP an den Grünen vorbeizuziehen schien. Vor den drei Fernsehschirmen verloren sich langsam die Träume und Befürchtungen kommender Koalitionsverhandlungen. Hatte die Kohl-Regierung zu Beginn nur einen Drei-Stimmen-Vorsprung, waren es schon bald fünf, dann wieder nur zwei: ein Wechselbad.

„Es ist doch sehr fraglich, ob eine Regierung auf so schmaler Basis die gesamte Legislaturperiode durchhält“, machte sich Volmer Hoffnungen auf die Zukunft. Der Wechsel sei dann eben in zwei Jahren fällig. Eine starke Opposition sei auch nicht zu verachten, und da könne den Grünen niemand etwas vormachen.

Joschka Fischer, der die ersten Hochrechnungen in der hessischen Landesvertretung abwartete, gab sich dagegen bei seinem Auftritt noch ganz optimistisch. „Niemand weiß bis jetzt, ob Kohl seinen Vorsprung von drei Mandaten behält, Spekulationen über Koalitionsbildungen sind noch gar nicht drin.“

Rundum glücklich war Marianne Birthler, die offenbar wirklich um den Einzug in den Bundestag gezittert hatte. Von den acht Mandaten, die Bündnis 90 in der vergangenen Legislaturperiode für die dann zu Bündnis 90/Grüne fusionierte Partei im Bonner Bundestag stellte, geht es nun auf knapp 50 Mandate nach oben. „Da kann man doch schon ganz anders Politik machen“, wird die erste Enttäuschung weggewischt, „die Grünen haben auch wieder die Mittel und das Potential, ein Netzwerk alternativer Politik im Lande zu unterstützen.“

Einer wird nicht dabeisein: Der prominente Grüne Hans-Christian Ströbele hat das einzige für die Grünen mögliche Direktmandat verfehlt. Er unterlag im Berliner Wahlbezirk Schöneberg/Kreuzberg mit 27,8 Prozent gegen den Sozialdemokraten Kurt Neumann, der sich mit 32 Prozent durchsetzte. Da Ströbele nicht auf der Landesliste abgesichert ist, kann er nicht nach Bonn wechseln.

Intern wurden bereits die Diskussionen um die Arbeit in der zukünftigen Fraktion in den Vordergrund gerückt. Insgeheim waren auch viele, auf die bei einem Machtwechsel der ganze Streß zugekommen wäre, etwas erleichtert. „Wir können uns erst einmal wieder mit einer Fraktion einrichten, wir können unsere Infrastruktur aufbauen, wir können uns wirklich im Alltag vorbereiten und nicht nur im Sandkasten.“ Motto: Der nächste Anlauf kommt bestimmt.

Die Fete in der niedersächsischen Landesvertretung war eine der populärsten an diesem Abend: Gerhard Schröder, der Hausherr, konnte das Haus nur durch die Hintertür verlassen, um in die SPD-Zentrale zu eilen. Vorne war das Gedränge zu groß. Jürgen Gottschlich, Bonn