piwik no script img

Auf dem Weg zum „sozialen Numerus clausus“

■ US-amerikanische Verhältnisse? Privatuniversität in Witten/Herdecke darf Studiengebühren erheben und wird erstmals vom Land NRW finanziell unterstützt

Berlin (taz) – Was noch vor gut zehn Jahren undenkbar schien, soll nun im SPD-regierten Nordrhein- Westfalen Wirklichkeit werden. Erstmals, so lautet ein Vorschlag der sozialdemokratischen Wissenschaftspolitiker des Landes, soll eine nordrhein-westfälische Universität künftig Studiengebühren erheben dürfen. Mit ihrer Hilfe und mit einer jährlichen Finanzspritze aus der Landeskasse will die nordrhein-westfälische SPD das Überleben der einzigen größeren deutschen Privathochschule absichern.

Denn die „Private Universität Witten/Herdecke GmbH“ steckt in einer Finanzkrise. Sieben Millionen Mark fehlen im Haushalt des laufenden Jahres, 1995 wird voraussichtlich eine Lücke von rund zehn Millionen klaffen. Mit der angestrebten Subventionierung, so Monika Lengauer, Sprecherin im nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium, will die SPD das bisher „einzigartige und interessante Studienreformmodell“ retten. In den nächsten sechs Jahren will NRW zu jeder eingehenden Spendenmark 25 Pfennig dazugeben. Gebilligt werden muß dieses Vorhaben der sozialdemokratischen WissenschaftspolitikerInnen noch vom Landesparlament.

Seit ihrer Gründung vor rund elf Jahren finanziert sich die Universität Witten/Herdecke in erster Linie durch Spenden. Die in Düsseldorf regierenden Sozialdemokraten lehnten es bisher strikt ab, Staatsgelder für das Privatunternehmen lockerzumachen.

Millionenspende von Bertelsmann zu Ende

Zwei Drittel des gesamten Haushalts basiert auf den Geldern von Privatpersonen und Wirtschaftsunternehmen, ein großer Teil der Gelder wurde von Bertelsmann, VW und anderen Stiftungen zur Verfügung gestellt. Etwa ein Drittel erwirtschaftet die Universität selbst, beispielsweise in der der Hochschule angeschlossenen Poli- Zahnklinik. Ende des Jahres läuft nun eine auf fünf Jahre befristete Unterstützung durch die Bertelsmann-Stiftung in Höhe von fünf Millionen Mark jährlich aus. Gleichzeitig, so der Sprecher der Universität, Klaus Bernhard Tezlaff, sei es aufgrund der wirtschaftlichen Rezession in den letzten Jahren spürbar schwieriger geworden, Spenden zu akquirieren.

Für den Gründer der Wittener Universität und Neurologen Konrad Schily ist das jetzt gefundene Finanzierungsmodell der SPD ein „Durchbruch“, da es „leistungsbezogen ist“. Akquirierte Spenden werden mit einem staatlichen Zuschuß honoriert. Die Selbständigkeit der Universität wird nicht angetastet. Schilys Meinung nach sollten Universitäten zwar „vom Staat bezuschußt, aber nicht gemanagt werden“, wie es an staatlichen Hochschulen der Fall sei. Witten/ Herdecke gilt aufgrund seines Studienmodells ohnehin als Stachel im Fleisch eines eher erstarrten, bürokratischen und reformunfreudigen staatlichen Hochschulwesens. Dem üblichen Massenbetrieb setzt die Privatuniversität überschaubare, praxisorientierte und fächerübergreifende Lerneinheiten entgegen. 580 StudentInnen, die Hälfte von ihnen angehende Mediziner, lernen unter intensiver Betreuung, überfüllte Hörsäle sind unbekannt. Um einen Studienplatz zu ergattern, war bisher nicht die Abiturnote ausschlaggebend. Gute Chancen auf einen Studienplatz haben sozial engagierte und vielseitig interessierte BewerberInnen.

Ob künftig das Portemonnaie der Eltern ausschlaggebend für die Aufnahme an der Wittener Privatuniversität ist, wird sich zeigen. Bisher zahlten Studierende hier keine Gebühren, diese wurden von der NRW-Landesregierung explizit untersagt. Nun gibt die SPD erstmals grünes Licht. Zu dieser Entscheidung, so die Sprecherin des Wissenschaftsministeriums, Monika Langauer, habe man sich nur schweren Herzens durchgerungen. Ein Umdenken in der Wissenschaftspolitik gehe damit jedoch nicht einher. Die Regelung gelte ausschließlich für Witten/ Herdecke. StudentInnen an staatlichen Universitäten, so stellte auch Wissenschaftsministerin Anke Brunn klar, müßten künftig nicht damit rechnen, Studiengebühren zahlen zu müssen. Denn solche Gebühren sind ihrer Meinung nach ein „sozialer Numerus clausus.“ 15.000 Mark pro Jahr und StudentIn berechnen kühne Köpfe in den Redaktionen nordrhein- westfälischer Lokalzeitungen schon. So manche KommentatorInnen sehen bereits „amerikanische Verhältnisse“ ins deutsche Hochschulwesen einziehen. In sozialdemokratischen Kreisen kursiert hingegen eine Gebührenhöhe von etwa 2.000 Mark jährlich. Über die genaue Höhe einer künftigen Studiengebühr wurde bisher jedoch noch nicht verhandelt.

Konrad Schily kündigt derweil eine „sehr vorsichtige und behutsame Einführung entsprechender Gebühren an“. Die Devise des Otto-Schily-Bruders lautet sowieso: „Gebührenfreiheit entmündigt“. Karin Flothmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen