: Unter Tarif keine Jobs
■ Arbeitsloseninitiative wollte mit Billig-Angeboten neue Stellen erschließen / Aber Vorurteile wiegen schwerer als Geld
Berlin (dpa/taz) – Mit ihrem provokativen Angebot, bis zu 20 Prozent unter Tarif und bis zu 60 Stunden pro Woche zu arbeiten, hatte eine Nürnberger Arbeitsloseninitiative im Juli bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Das Ergebnis des Selbstversuchs aber ist ernüchternd: Auch ein Vierteljahr nach Beginn der Aktion hat noch kein einziger aus dem „Sozialpolitischen Arbeitskreis“ des ökumenischen Arbeitslosenzentrums einen Job gefunden. „Es ist kein Unter-Tarif-Angebot gekommen“, berichtet die kirchliche Betreuerin Martina Beckhäuser. An mangelnder Verzichts- und Leistungsbereitschaft von Arbeitslosen könne es also nicht liegen.
Zwar hätten sich einige Firmen und Verbände gemeldet. „Aber die wollen nur Supermänner, die 120 Prozent Leistung bringen“, klagt der 36jährige Entsorger Pjotor Frank. „Leute, die weniger bringen können, wollen die auch für weniger Geld nicht einstellen.“ Das schaffe nur Unruhe in leistungsorientierten Belegschaften, hätten Firmenchefs erklärt.
Der Bundesverband Junger Unternehmer (BJU) und die Wirtschaftsjunioren halfen der Initiative mit kostenlosen Annoncen in den jeweiligen Mitgliederzeitschriften.
Streit um Tarifprozente in der Metallindustrie
Aber auch unter der Verbands- Klientel wollte niemand etwas mit den billigen Langzeitarbeitslosen zu tun haben. Viele Unternehmer hätten Angst, einmal eingestellte Arbeitslose wegen des Kündigungsschutzes nicht wieder loswerden zu können, heißt es beim BJU. „Totgeschützt“ seien insbesondere ältere und behinderte Arbeitslose, behauptet sogar Bundesgeschäftsführer Ludger Birkendorf von den Wirtschaftsjunioren. Ein Beispiel dafür ist der 38jährige Peter Zippel, Mitglied der Arbeitsloseninitiative, mehrfach qualifizierter Techniker und zu 60 Prozent behindert. Er wird zwar immer wieder neu eingestellt – aber sechs Monate später vor Greifen des Kündigungsschutzes entlassen.
Wie berichtet, wird auch die Möglichkeit untertariflicher Bezahlung bei der Einstellung von Langzeitarbeitslosen in der Chemieindustrie bisher kaum von den Unternehmen angenommen. Die IG Metall hat ähnliche Einstiegstarife für ihre Branche bisher abgelehnt.
An der Tariffront rüstet man derweil zum Streit. Der Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Tyll Necker, rief dazu auf, zum Erhalt der Arbeitsplätze an die moderate Lohnrunde von 1994 anzuknüpfen und die „Strategie der Vernunft“ fortzusetzen. Dagegen unterstützte DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer, die Forderung der IG Metall nach sechs Prozent mehr Lohn und Gehalt: „Es muß jetzt Lohnsteigerungen geben, die mindestens oberhalb der Inflationsrate von derzeit drei Prozent liegen“.
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