Mittwoch, 18. Oktober 1989: Unruhe
■ Fünf Jahre danach – eine taz-Serie
Am Nachmittag platzt die Bombe: Erich Honecker ist zurückgetreten. In den östlichen Nachrichtensendungen heißt es lapidar: „Am heutigen Tage trat das Zentralkomitee zu seiner 9. Tagung zusammen. Zu Beginn ergriff der Genosse Erich Honecker das Wort und bat, ihn aus gesundheitlichen Gründen aus seinen Funktionen zu entbinden. Das Zentralkomitee entsprach seiner Bitte.“ Mehr noch: Gleichzeitig werden auch Mittag und Herrmann aus dem ZK entlassen. Einfach so. Ohne Gründe. Ohne Ausrede. Aber das ist noch nicht alles.
Bis hierhin wirkt die Nachricht auf mich wie ein Befreiungsschlag. Mir ist, als ginge ein Ruck durch die Zeit, voran: die Schlimmsten sind wir los. Der Druck der Straße hat die gerontokratische Spundwand an der Spitze des Landes durchschlagen.
Der weitere Teil der Nachricht ist weniger erfreulich: Egon Krenz wurde zu Honeckers Nachfolger bestellt. Im Grunde ist das Land damit vom Regen in die Traufe geraten. Ein simpler Generationswechsel im ZK ändert nämlich nicht nur nichts, er verschlimmert die Lage. Denn die jetzt kommen werden, die nachrückende Garde „führender Genossen“, waren Zeit ihres Lebens eben nichts anderes als „führende Genossen“. Funktionäre.
Den Alten konnte man wenigstens noch einen gewissen Idealismus unterstellen, auch wenn dieser Idealismus furchtbare Folgen hatte. Die neuen Köpfe hingegen – Krenz, Schabowski oder wie immer die heißen mögen, die sich in der Nähe der Zentrale gehalten haben – haben in ihrem bisherigen Leben nichts anderes bewiesen als den Willen zur Macht. Wie soll man mit solchen Leuten fertig werden? Wolfram Kempe
Unser Autor ist Schriftsteller und Publizist. Er lebt in Berlin.
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