: The Weltschmerz
■ German Romanticism in England - "Storm & Stress" zum Festival und einer umstrittenen Mega-Ausstellung in London
It killed Hitler“: Die Schrift unter der Abbildung einer roten Stecknadel auf gigantischen Plakatwänden in den Londoner U-Bahnhöfen wirbt derzeit für den Besuch der sogenannten „Cabinet War Rooms“, jener versteckten Headquarters, von wo aus Churchill und seine Crew, Nadeln auf Landkarten plazierend, den Sturz der deutschen Diktatur planten. Praised they be.
„Dies Poster muß für dich als Deutsche irgendwie peinlich sein“, höre ich den Kollegen Antony dazu sagen, mit dem typischen, höflich-kontrollierten Unterton, gemischt aus Vorwurf und „sorry“, den die Engländer bei diesen Themen gern Deutschen gegenüber anschlagen. Für England, wo an manchem D-Day der Vergangenheit jeder Kriegsveteran, der einen Pub in Uniform betrat, umsonst sein Pint of Beer bekam, sind die Deutschen stets noch die Besiegten, ist Hitler ihr Dämon und der Krieg ein heikles Thema heimlichen Triumphs, vor allem gegenüber einem Land, das sie zugleich bewundern.
Der Krieg bescherte The Wirtschaftswunder
„Britain won the war, but Germany won the peace“, sagt man im Vereinigten Königreich. Schließlich bescherte der Kalte Krieg den Deutschen The Wirtschaftswunder. Heute bauen sie Mercedesse und BMWs; und nicht genug damit, daß sie Deutsche sind, sind sie heutzutage auch noch ekelerregend amerikanisiert, haben Erfolg über Erfolg: Die Deutschen haben „Rover“ gekauft, das Herz der britischen Automobilindustrie; die Deutschen gewinnen im Fußball, ihnen gehört der schreckliche Klinsmann, inzwischen in England ans Herz gedrückt. Ganz London jedenfalls schwärmt von, schwelgt in, streitet über „The Deutsche Romantik“ in diesem Herbst.
Drei Monate lang soll die Invasion dauern, wird dem Deutschen Romantizismus die Ehre gegeben mit einem „major arts festival“, so die Broschüre des South Bank Centre für Kultur: Bald 90 (!) romantische Veranstaltungen zählt der Festival Events Guide. So singt Peter Schreier hier Schumann, zeigt die Royal Festival Hall Käthe Kollwitz (!), zelebriert die Queen Elizabeth Hall einen „Wagner Day“, während das Goethe-Institut über „Nietzsche's Legacy“ diskutieren läßt und Filme „von Syberberg bis Alexander Kluge“ vorführt, das National Film Theatre Leni Riefenstahl wie Veit Harlan auf die Leinwand bringt.
Warum so laut, so teuer, so lang?
Alles umarmend aber, was The Romantik hergibt, zeigt die Hayward Gallery, integriert in einen von Prince Charles verachteten Kultur-Betonpalast am Südufer der Themse, bis Anfang Januar 1995 gut 300 Exponate unter dem Titel: „The Romantic Spirit in German Art 1790–1990“. Warum so laut, so teuer, so lang?
Ein Lautsprecherchen des Acoustic Guide aufs Ohr gehängt, arbeiten sich die BesucherInnen der Hayward Gallery durch die Säle. Mit sanfter Guide-Stimme, unter Beethovenschen Mondscheinsonatenklängen dahinströmend, beginnt die „demystification“ (Werbetext für den Acoustic Guide) der Deutschen Romantik. Die Stimme leitet uns zu Caspar David Friedrichs Männern in Mänteln, einen neblig-orangefarbenen Mond betrachtend. Hier sei „der unwiderstehliche Sog einer hypnotischen Vision“ spürbar, „das Mondlicht transformiert die Realität“. Die Männer, „als Freiheitskämpfer gekleidet“, in „alten deutschen Kostümen“ – feiern ihren Freiheitsdrang, bekämpfen Napoleon. Sie sind Nationalisten, aber keine bösen Menschen, so versteht ja jeder, dessen Land mal mit Frankreich im Krieg lag.
Nicht nur Blitzkrieg, auch The Weltschmerz
Schinkels massive „imaginary cathedrals“ symbolisieren Deutschtum und Nostalgie für das Mittelalter, „das letzte Mal, daß Deutschland politisch vereint war“. Daher die Liebe der Romantiker zu Cranachs und Dürers Zeiten, „in denen deutsche Kunst noch groß war“, mag der englische Betrachter denken. Deutschland, das ist nicht nur Blitzkrieg, sondern auch „the Weltschmerz“ oder „the Gesamtkunstwerk“; deutsche Kultur ist „meaningful, melancholic and – understandable“.
„Romantik“, so der Aufklärer über die Romantik, habe in Deutschland bis weit ins 20. Jahrhundert hinein weitergewirkt, sprich, Deutschland, diese zerreißende und seit den Glaubenskriegen immer wieder zerrissene Nation, wird seine „Krankheit“ (Goethe) bis heute nicht los.
An den Wänden der Hayward Gallery werden also auch Nolde und Kirchner, Heckel und Marc, Klee und Kandinsky und schließlich Beuys und Baselitz zu Aussagen über dieses spezielle deutsche Sentiment aufgerufen. Am Ausgang der Ausstellung begegnet dem romantischen Museumswanderer eine monumentale Beuys- Installation. Die 31 in den Raum geworfenen, grob behauenen Steinquader, alle mit einem Filzpfropf über einem Lehmloch versehen, tragen den apokalyptischen Titel „Das Ende des zwanzigsten Jahrhunderts“. Zwar erinnern sie an die dramatische Anonymität etwa von Caspar David Friedrichs „Eismeer“, doch sie wirken frei und großzügig. Beuys, heißt es, sei ein „green romantic“.
So scheint die Romantik „abgedeckt“ unter dem bergenden Deckel der postmodernen Ausstellung. „There's some great Kirchner stuff down here“, ruft eine Lady ihrer Freundin wie beim Sommerschlußverkauf bei Harrods zu, „come have a look!“
Wäre da nicht. Hätte man da nicht. Gäbe es da nicht: im weiterwabernden Kontinuum einen Mißklang im romantischen Tremor. „Romantisches Zwielicht – Kunst im Dritten Reich“ überschreibt der Katalog diese „Phase“. Marschmusisk führt den Hörer des Acoustic Guide zu einem kleinen Raum mit der Tafel „Art of the
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Third Reich“, wo eine arische Blondfamilie und ein muskulös realistischer Sämann als nazigenehme Romantik-Adaptionen hängen. „The pictures are imaginatively bancrupt“, gesteht der Guide, „the Nazis misappropriated the Romantic heritage and put it to propagandistic ends.“ Jetzt aber weiter zum nächsten Raum.
Nazis? Das war's. Die Moderne kann nach 1945 neu einsetzen. Und fort geht es zu Willy Baumeister, hin zu Anselm Kiefer, der zwar auch, ja ja, schwarzbraune Spuren in dicker Ölfarbe auf vielen Quadratmetern Leinwand hinterläßt, aber gebrochen, ironisch, wieder richtig romantisch, politisch akzeptabel, normales deutsches Großkaliber. Hier jedoch erregt sich die englische Öffentlichkeit. Darf man so German Romanticism feiern? Brütet nicht im „Deutschen Romantizismus“ der Keim des Faschismus? „As if Hitler never existed“, lautet die erboste Überschrift im Independent, unter der Andrew Graham-Dixon erklärte: „Die Endlösung war die verabscheuungswürdige Übersetzung jener Eigenschaft romantischer Ästhetik ins Genetische, die von totaler Reinheit träumte.“ Graham-Dixon kann es nicht fassen, daß der Romantik eine solche Huldigung zuteil wird; ohne Rücksicht darauf, so ist Graham-Dixon zu verstehen, daß der Zug der Romantik direkt an die Deportationswaggons des Faschismus angekoppelt ist. Daß Kultur eine gefährliche und horrende Sache sein kann, wie „the most poisonous truth of German Romanticism“, der Nazismus und Hitler, „the maddest Romanticist“, beweisen.
Leidenschaftlich antwortet ihm ein anderer Protagonist der Debatte: Lord Weidenfeld, Hauptinitiator des „Festivals“. Romantik, so der Lord, sei eine in ganz Europa verbreitete Strömung gewesen, „viele Juden waren begeisterte Wagnerianer“, man denke auch an die Zionistische Romantik. Wegen einer perversen Seitenströmung dürfe man nicht die ganze Bewegung zensieren. England erfährt seinen Mikro- (Kunst-)Historikerstreit.
Woher überhaupt das englische Interesse an einem solch gigantischen postmodernen Spektakel? Wer seine Frage wie Angelhaken in das Meer dieser Romantik-Rezeption wirft, hat bald einen dicken, prosaischen Speisefisch an der Angel: The Deutsche Romantik ist eine Show wirtschaftlicher Kooperation. Hinter dem Sturm und Drang (im Englischen: „Storm and Stress“) des Gesamtkunstwerks „Deutsche Romantik on the South Bank“ liegt neben dem ehrenwerten Versuch der kulturellen Kommunikation der Sturm und Drang der Industrien beider Länder: Entsprechend konziliant muß man sich geben.
Urananreicherung? Wie romantisch!
Dieser „industrial handshake of nations“ ist eins zu eins abgebildet in der Werbezeitung der Times für das Festival mit seinen Schirmherren, den Außenministern Herrn Kinkel und Mister Hurd. „Technologie für bessere Lebensqualität? Was für eine romantische Idee!“ erklärt galant die Firma Siemens. Und wie The Deutsche Bank ist auch der Urananreicherer für Atomkraftwerke aller Welt, namentlich die Firma Urenco, dabei: „Ein Modell für die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem Vereinigten Königreich und Deutschland“. Diese schätzt sich glücklich, das große britisch-deutsche Festival „Deutsche Romantik“ sponsern zu dürfen. Stolz weisen heuer auch in ganz England die Etiketten auf German-„Beck's- Beer“-Flaschen auf die Sponsorschaft der Brauerei für den „Romantic Spirit in German Art“ hin.
Schade. Zu disparat sind die Interessen hinter der Show, als daß sie wirklich Erkenntnis produzieren könnte. „Bis vor kurzem“, schreibt der Brecht-Übersetzer und Redakteur John Willet in der Oktoberausgabe von Art Monthly, „waren etwa bei der Ausstellung ,Deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts‘ der Royal Academy vor neun Jahren die zwölf Jahre von Hitlers Tausendjährigem Reich ein schwarzes Loch in der Kunstgeschichte. Jetzt tauchen sie als kontaminierte Kammer aus der Versenkung auf, und wir können durch einen Türspalt blicken. Doch die Frage bleibt offen, wer hier was kontaminiert hat.“
Willet erinnert an eine kohärente, antiromantische Strömung mitteleuropäischer Kunst von Dada über Le Corbusier bis Jazz, der kein derartiges Metaspektakel gewidmet werde. Statt dessen einige man sich auf einen akzeptablen amorphen Romantizismus. „Deutsche Romantik ist eine Art riesige Waschmaschine, in die man alles hineintun und weiß wieder herausnehmen kann.“ Caroline Fetscher
„The Romantic Spirit in German Art 1790–1990“. Vom 29.9. bis 8.1. in der Hayward Gallery. Ab 2.2. im Haus der Kunst in München. Katalog: 19,95 DM.
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