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„Wann ist eine Nation?“

■ Geschichte eines ungehaltenen Vortrags: Nigerias Militärjunta und das Ausreiseverbot gegen den Dissidenten Wole Soyinka

Ende September wollte Wole Soyinka, der berühmte nigerianische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger, nach Europa reisen, um unter anderem am Lissaboner „Schriftstellerparlament“, an der Frankfurter Buchmesse und an verschiedenen Diskussionsveranstaltungen in Deutschland teilzunehmen. Die Militärbehörden Nigerias nahmen ihm am Flughafen von Lagos den Reisepaß ab und verhinderten seine Ausreise. Somit konnte er nicht seinen Vortrag mit dem Originaltitel When Is A Nation? halten, den die taz hier in Auszügen wiedergibt.

Dieser ungehaltene Vortrag hat eine eigene Geschichte. Er basiert auf einer Rede, die Soyinka im vergangenen Juni vor dem „Oxford and Cambridge Club of Nigeria“ hielt. Schon dieser Zeitpunkt verrät, worum es geht: Ein Jahr zuvor, am 12. Juni 1993, hatten in Nigeria zum ersten Mal freie Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Noch bevor der Gewinner Moshood Abiola zum Wahlsieger erklärt werden konnte, annullierten die Militärherrscher die Wahl wieder, und sie regieren noch heute. Für Soyinka war diese Wahl der Gründungsakt einer demokratischen nigerianischen Nation. Das ist auch das Thema dieses Vortrags.

In der ursprünglichen, viel längeren Version des Vortrags geht Soyinka zum Schluß detailliert auf die innenpolitischen Umstände und Folgen der Wahlannullierung ein. In Deutschland hätte Soyinka diese sehr weitschweifigen Ausführungen höchstwahrscheinlich nicht wiederholt. Wir drucken daher, leicht gekürzt, den ersten Teil, der sich mit Nationenbildung im allgemeinen befaßt. Er ist notgedrungen unfertig, da seine Ausarbeitung zu einem eigenen abgerundeten Redetext sich nach dem Ausreiseverbot erübrigte.

Mit seinen Thesen setzt Soyinka die von ihm hochgehaltene Tradition des intellektuellen Widerstands gegen die wechselnden Militärregierungen seiner Heimat fort. Mehrmals haben diese ihn ins Gefängnis gesteckt oder ihn, wie jetzt, in seiner Reisefreiheit behindert – doch zum Schweigen brachten sie ihn nicht: Ende Oktober soll vor einem nigerianischen Gericht eine Klage Soyinkas verhandelt werden, in der er verlangt, die Illegimität der gegenwärtigen Militärjunta festzustellen. D.J.

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