: Endstation Niemandsland
Seit über sechs Wochen sitzen 500 bosnische Flüchtlinge zwischen Kroatien und dem serbisch besetzten Ostslawonien fest / Die kroatische Regierung verhindert die Weiterreise ■ Von Rüdiger Rossig
Seit dem 31. August sitzen 500 bosnische Flüchtlinge in Novska an der Grenze zwischen dem serbisch besetzten Ostslawonien und der Republik Kroatien fest. Es sind überwiegend Kroaten und Muslime aus den serbisch besetzten 70 Prozent des bosnischen Territoriums. Sie dürfen sich nur innerhalb eines Radius von 50 Metern bewegen. Ein Stacheldraht trennt die Baracken der nepalesischen und jordanischen UN-Blauhelme, die ihnen seit sechs Wochen Unterkunft gewähren, von den Campingzelten der Flüchtlinge.
Nur zwei Wege führen aus dem Lager: einer zu den von der UNO bereitgestellten Toiletten, der andere ins sichere Kroatien. Doch die seit Anfang 1991 unabhängige Republik verweigert den Menschen die Einreise. Wochenlang müssen sie – ungeachtet ihrer gültigen Visa für „sichere Drittländer“ wie die Bundesrepublik oder Schweden – in der „Pink Zone“, wie das das de facto serbisch besetzte Drittel der exjugoslawischen Republik im Sprachgebrauch der UNO heißt, warten. Martin Fischer, der Vertreter des Vereins „Den Krieg überleben“ in der kroatischen Hauptstadt Zagreb, darf nur 30 Flüchtlinge pro Monat nach Kroatien bringen.
Über 4.000 Menschen hat Fischers Verein seit seiner Gründung vor zwei Jahren die Ausreise aus dem serbisch besetzten Bosnien ermöglicht. Dort geht die Vertreibung von Nichtserben täglich weiter – auch wenn die „ethnischen Säuberungen“ heute weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden sind. „In den Lagern hier wimmelt es von Ratten und Ungeziefer“, berichtet Fischer. „Die Medikamente für diejenigen Flüchtlinge, die aufgrund der Strapazen der Reise krank werden, müssen wir selbst finanzieren.“ Zur Zeit bemüht sich „Den Krieg überleben“ in Anbetracht des nahen Winters, wenigstens Container aufzustellen. Keine der in Zagreb ansässigen Hilfsorganisationen rechnet damit, daß Kroatien seine Grenze in naher Zukunft für mehr als die zur Zeit monatlich 60 Menschen – 30 von „Den Krieg überleben “, 30 vom UN-Flüchtlingswerk UNHCR – öffnen wird.
Beide Organisationen rechnen angesichts des zunehmenden Terrors gegen Nichtserben in der „Serbischen Republik“ mit Hunderten neuer Flüchtlinge im Winter. Martin Fischer, der Journalist aus Wien, der den bedrohten Menschen im serbisch besetzten Bosnien seit zwei Jahren hauptberuflich dabei hilft, das Land zu verlassen, weiß, was mit denen geschieht, die nicht gehen können: „Vor ein paar Tagen haben wir erfahren, daß am 10. September einer der Muslime, die wir nicht mitnehmen durften, an der Front bei Bihać von seinem serbischen Bewacher beim Ausheben eines Schützengrabens erschossen wurde“, berichtet er. „Dabei lagen seine Ausreisepapiere zu diesem Zeitpunkt schon fertig in unserem Büro.“
Doch auch für die, die es nach langem Warten ins sichere Kroatien geschafft haben, ist die Tortur nicht zu Ende. „Alle Flüchtlinge müssen nach ihrer Ankunft zuallererst auf die kroatische Polizeistation von Novska“, so Martin Fischer, „die einzige Frage, die ihnen dort gestellt wird, ist, wieviel sie mir gezahlt haben.“ Das kann schon Stunden dauern, offenbar spielt es keine Rolle, daß die Menschen mit Verhören grauenhafte Erinnerungen verbinden. Dabei ist bisher unklar, ob die Verhöre eine Schikane des Polizeipostens von Novska oder auf Anweisungen aus Zagreb zurückzuführen sind. Vom Polizeihauptquartier in Zagreb zumindest hat Fischer erfahren, daß gegen ihn nichts vorliegt.
Die deutsche Botschaft hält sich aus der ganzen Sache genauso raus wie die Österreichs. Die Bonner Vertretung in Zagreb fühlt sich aufgrund Fischers österreichischer Staatsbürgerschaft nicht zuständig; und die Botschaft Wiens beruft sich darauf, daß „Den Krieg überleben“ eine deutsche Organisation sei. Dabei könnte gerade die Bundesrepublik sehr wohl helfen: Von den 7.000 Kontingent-Plätzen, die die BRD im April 1992 zur Verfügung gestellt hatte, sind bis heute noch 3.900 frei. „Die haben da ein ganz besonderes System zur Fluchtverhütung gefunden“, meint Martin Fischer. „Die Plätze werden besetzt, aber dann hilft niemand den Leuten dabei, die ,Serbische Republik‘ zu verlassen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen