: „Energie aus Angst“
■ Diamanda Galas: 3 1/2 Oktaven heute in der Freiheit 36
Diamanda Galas, 3 1/2-Oktaven-Sängerin, femme fatale und Extrem-Performance-Künstlerin hat sich für ihre neue Platte The sporting life mit Ex-Led Zeppelin Bassist John Paul Jones zusammengetan und skurrile Blues-Rock-Epen aufgenommen.
taz: John Paul Jones und Diamanda Galas. Zwei Welten treffen aufeinander.
Diamanda Galas: John und ich haben den gleichen Background, Motown, Blues, New Orleans-Zeug. Sein Vater und mein Vater hatten Tanzkapellen, und wir beide starteten mit der Musik in den Bands unserer Väter.
Ist es richtig, daß ihnen „The Sporting Life“ nicht soviel bedeutet wie andere Projekte?
„Plaque Mass“ behandelt den Tod, den Tod von mir nahestehenden Personen. Bei „The Sporting Life“ geht es um mörderische Liebeslieder. Wenn du eine Beziehung beginnst, weißt du von vorneherein, das es unangenehme Seiten geben wird, daß Scheiße passieren wird. Ich habe einen extremen Charakter, also geht es meistens auf eine sehr interessante Art und Weise schief. (lacht)
Diese neue Arbeit ist aus einer anderen Stimmung entstanden. Aber sie ist deswegen nicht weniger stark. Es sind zwei verschiedene Realitäten. Wenn ich über Tod spreche, dann spreche ich über Menschen, die nicht mehr sprechen können. Jetzt rede ich über Menschen, die noch leben.
Bedeutet das nun einen Wechsel der Ästhetik und des Images?
Du solltest meine Verflossenen fragen, ob ich vor zehn Jahren schon so war, und sie würden bejahen. Jedes Lied auf dieser Platte hat eine reale Person zum Anlaß. Wie Voodoopuppen, in die man kleine Nadeln steckt.
Vielen Menschen macht ihre Musik Angst, besonders die Live-Performances. Ist Furcht ein bewußt eingesetztes Mittel? Was ist das progessive Element daran?
Ich habe mich viel mit Furcht beschäftigt. Es geht mir um eine Energie, die mich über Angst hinausbringt. Diese Energie, die nötig ist, um mich aus einer Situation zu befreien, ist es wohl, die die Leute schockiert. Vielleicht ist es auch, daß eine Frau diese Energie hat. Ich komme nicht auf die Bühne mit dem Vorsatz, die Leute zu Tode zu ängstigen. Ich konzentriere mich auf meinen Job.
Auf „This sporting life“ behandeln sie das Thema Liebe ausschließlich in Form von Eifersucht, Nicht-Vergeben-können, Besitzansprüchen, Mord. Ist dies nicht ein sehr negatives Bild?
Ich wünschte es wäre nicht so.
Aber denken sie nicht, daß sie diese gefährliche Faszination unterstützen?
Ich unterstütze sie nicht, ich lebe sie. Ich wünschte sehr, daß es anders wäre. Aber ich glaube, viele Leute verstehen das. In Amerika ist der OG Simpson-Fall unglaublich populär. Nicht weil er ein berühmter Footballspieler ist, sondern weil die Leute wissen, worum es geht. Ich lebe es, und ich sage das nicht als ein Opfer, sondern als ein Bestandteil der Gesellschaft.
Ihre Kunst, ihre Musik ist sehr persönlich, möchten sie sie nicht manchmal privat halten?
Ja, würde ich, nicht um meiner willen, sondern um meiner Familie willen. Man fragt mich nach meiner Familie, nach meiner offensichtlich tragischen Kindheit und solche Scheiße. Ich wünschte ich hätte meinen Namen geändert, ich hasse es, wenn mein Bruder oder meine Mutter diskutiert werden.
Das wird in dem Moment besonders schwierig, wenn die künstlerische Basis Unterhaltungsmusik ist.
Ja, aber das macht es auch spannend. Es ist gut, Leute im Kontext von Unterhaltung mit Inhalten zu konfrontieren, die sie nicht erwarten. Ein Performer sollte Risiken auf sich nehmen, sollte Furcht konfrontieren. Wenn du diese Unsicherheit verlierst, solltest du was anderes machen. Ich habe ein Stück fürs Radio gemacht, das „Schrei 27“ heißt, daß 27 Minuten pure Stimme, äußerst intensiv.
Vor kurzem habe ich dieses Stück in Minneapolis aufgeführt, habe im Dunkeln die Bänder laufen lassen und habe nur auf die Reaktionen der Leute geachtet. Das Stück endet mit dem anhaltendem Lachen einer vergewaltigten Frau, die wahnsinnig wird. Ich fühlte mich wie B.F. Skinner oder Pawlow und dachte; ja, das ist interessant. Ich möchte die Kontexte sprengen. Das ist wohl mein künstlerischer Imperativ.
Wissenschaft mit menschlichem Material.
Absolut. Es ist misantropisch und geht noch darüber hinaus. Aber was sonst sollen wir auf diesem Planeten tun?
Fragen: Holger In't Veld
Konzert mit D. Galas & J. P. Jones, heute, Große Freiheit, 20 Uhr
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