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Der zufällige Duft der Dinge

■ Anglo-französische Liaison und ein Spiel mit dem Wunsch, sein Leben an einem bestimmten Punkt nochmal neu zu beginnen: Alain Resnais über seinen letzten Doppelfilm "Smoking" & "No Smoking"

taz: In „Smoking“ & „No Smoking“ schaffen Sie eine überraschende Verbindung zwischen einer typischen englischen distinguierten Atmosphäre – Vorlage zum Doppelfilm ist das Theaterstück „Intimate Exchanges“ von Alan Ayckbourn – und einer Marivauxschen Leichtigkeit. Woher kommt diese seltene anglo-französische Liaison?

Alain Resnais: Wenn man viel englische Literatur liest wie ich, beginnt man sich eine „Familie“ zu bilden. Andere Länder haben oft einen unwiderstehlichen Charme, weil man sich nie so an sie gewöhnt wie an seine Heimat. Ich überlege, ob es eine Verbindung zwischen den englischen Theaterautoren gibt, mit denen ich zusammengearbeitet habe – David Mercer („Providence“, 1976), Alan Ayckbourn und auch Mike Leigh („Naked“) –: Alle geraten leicht in eine Art Delirium und sind dem Universum von Lewis Carrol („Alice im Wunderland“) sehr nahe. Mir scheint, daß Marivaux und Molière immer noch ziemlich vernünftig sind, während ein großer Teil der angelsächsischen Literatur mit dem Imaginären arbeitet. Wahrscheinlich zieht sie mich deshalb so an. Selbst wenn man so einfache Dinge nimmt wie die internationale Figur Sherlock Holmes, wüßte ich keine einzige französische (fiktive) Figur, der man Ausstellungen widmen, sein Büro rekonstruieren und in Vitrinen Objekte seiner Geschichten präsentieren würde.

Vielleicht bin ich als Bretone nicht weit davon entfernt. (lacht) Selbst wenn ich Dokumentarfilme gemacht habe – „Nacht und Nebel“, „Guernica“ oder „Van Gogh“ –, handelten sie vom Imaginären, aber unabsichtlich.

In „Smoking“ & „No Smoking“ sind die Dekors künstlich, aber beim Ton haben Sie darauf geachtet, daß englische Möwen schreien...

Ich finde, daß ein Ton das Imaginäre entfesseln kann. Darin weiß ich mich sogar mit einem französischen Kollegen einig: Robert Bresson, der immer sagte, der Ton könne den Zuschauer zum Träumen bringen, während das Bild immer eindeutig und präzise sei. Leider wird der Ton oft auf Stereotypen reduziert, weil er eine nicht so reiche Skala wie das Bild besitzt. Ich entdecke also keinen Widerspruch, denn die Dekors akzentuieren ebenso wie der Ton das Imaginäre. Im Kino mag ich als Zuschauer gerne, wenn mir der Regisseur „sagt“: Sie sind im Kino, das sind Schauspieler, und ihr Text wurde vorher geschrieben – und nicht so tut, als sei alles improvisiert und aus dem Leben gegriffen.

Sie zerstückeln Ihre Filmerzählungen oft mit Vor- und Rückblenden. Ist Ihr Kino eine Art Zeitmaschine, wie man sie in „Je t'aime Je t'aime“ (1968) sieht?

Mir ist klar, daß der Ablauf eines Tages immer völlig mit dem zusammenhängt, was sich in unserem Kopf abspielt – egal ob wir etwas planen oder ob wir fürchten, einen alten Fehler zu wiederholen... Wir gehen immer von dieser ganzen Vergangenheit aus, um die Zukunft zu gestalten. In meinen Filmen versuche ich vielleicht, mich diesem ständigen Prozeß zu nähern. Auch „Smoking“ & „No Smoking“ spielt mit dem Wunsch, sein Leben noch einmal an einem bestimmten Punkt neu zu beginnen.

Das haben Sie schon in Ihrem ersten Spielfilm „Hiroshima mon amour“ (1959) behandelt: Marguerite Duras, die Drehbuchautorin, zeigt in ihrem ganzen Werk, welche Bedeutung die Erinnerung für unser Leben hat.

Ja, aber das gilt natürlich für viele anderen Filme auch. Mir gefällt an der Idee von „Smoking“ & „No Smoking“, daß man kein mechanisches Raster für den Ablauf der Geschichte entwerfen kann. Denn selbst wenn es von dem abhängt, was die Figur sagt oder tut, kann sie durch die Umstände plötzlich ganz anders reagieren. Der Zufall bleibt immer im Vordergrund. Denn ich hatte Angst, daß der Film einem Schachspiel ähnelt; wir bewahrten die Konstruktion Ayckbourns, blieben aber sensibel für den „zufälligen Duft der Dinge“.

Zeigen Sie gerne Paare beim Essen, weil Sie dort ohne viel künstliche Bewegung deren mögliche Entwicklungen und Reaktionen konzentrieren können?

Wenn man nur zwei Figuren hat, versucht man sie in natürlich erscheinenden Situationen zu zeigen. Am Tisch können die Schauspieler sitzen und sich ganz auf die Konversation, einfache Bewegungen und Gesten konzentrieren. Ich mag verfilmte Theaterstücke nicht, wenn man sich auf Teufel komm raus bemüht, die Figuren in Bewegung zu bringen: erst im Garten, dann am Bahnhof, am Meer... Denn sehr oft kann dabei die dramatische Spannung verpuffen. Daher liebe ich Regisseure wie William Wyler, der viele Theaterstücke verfilmte – wie „The little foxes“ (1941) – und dabei die Einheit des (Spiel-)Ortes sehr lange beibehielt. Natürlich auch Lubitsch, der immer von Theaterstücken ausging. Er „bemühte“ sie aber nicht, sondern blieb immer erfinderisch: Auftritte und Abgänge in hohem Tempo, Kameratricks und ähnliches. Also sehe ich keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Film und Theater.

Die Rolle von Sabine Azéma ist ein männliches Phantasma: die Frau, die alle weiblichen Facetten zugleich verkörpert.

Es ist lustig, wie sich die Zuschauer je nachdem mit einer ihrer Rollen sympathisieren. Jacques Rivette hat zu mir gesagt: „Erst habe ich ,No Smoking‘ mit (der temperamentvollen) Rowena gesehen und danach ,Smoking‘, wo man die ganze Zeit von ihr redet – aber das ist nicht dasselbe! Also habe ich mir ,No Smoking‘ nochmal angeschaut – nur wegen Rowena!“ Ich war sehr stolz (lacht), denn Rivette ist schwierig und passioniert zugleich.

Pierre Arditi spielt die Melancholie eines verlorenen Verführers, Marcello-Mastroianni-Style...

Als wir beim Drehen über die Figuren sprachen, schien uns dieser Miles Coombes, ängstlich und verklemmt wie er war, alles zu verpfuschen; aber letztlich hat er das reichste Liebesleben von allen: eine Affäre mit Celia, mit Sylvie, die Heirat mit Rowena... Man kann Ayckbourn eben nie auf eine systematische Lösung festnageln.

Der Film ähnelt einem Vaudeville mit höllischem Tempo, aber die Figuren sind viel feiner akzentuiert als im Boulevardtheater.

Die Figuren sind eine Art Verformung von klassischen Boulevard- und Burleske-Rollen. In manchen Momenten ähnelt der Film dem typischen Boulevardstil, dem man immer vorgeworfen hat, dort gebe es nur Männer in Unterhosen und unter Betten versteckt – daher nannte man diese Stücke auch „caleçonades“ [von caleçon/ Shorts]. Ja, Ayckbourn spielt gerne mit den Stereotypen des Theaters und treibt sie bis in die völlige Verrücktheit... Es ist sein Blick, der ihn vom Boulevardtheater unterscheidet.

Selbst wenn „Smoking“ & „No Smoking“ sehr lustig ist, enden die einzelnen Episoden eher desillusionierend.

Ja, am Ende gibt es wirklich wenig Erfolg. Man könnte sagen, Ayckbourn sieht das Leben im Vergleich zu unseren Träumen und Hoffnungen wie eine Folge von Mißerfolgen. Ist das eher englisch oder französisch? Immerhin leben wir alle mehr oder weniger im Bedauern von etwas. Alle populären Chansons – von Jacques Brel, Yves Montand, Edith Piaf und vor allem Frank Sinatra – handeln von enttäuschter und verlorener Liebe, von Trennungen, von Einsamkeit. Das gefällt vielen. Aber Brel ist mit Abstand der schwärzeste unter ihnen. Interview: Marcus Rothe

„Smoking“ & „No Smoking“. Regie: Alain Resnais. Mit Sabine Azéma, Pierre Arditi und Peter Hudson als Erzähler. Frankreich 1993, je 140 Minuten. Ab morgen im Kino.

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