Sanssouci: Vorschlag
■ „Abel und Joe“ – Roadbook durchs schwule Berlin
Flasche fickt Möppel, und Abel leckt Flasches rasierten Sack. Engel stößt Abel, während Joe zuschaut. Abel und Gustav vögeln die beiden Schnauzbärtchen und spritzen gleichzeitig. – Leser, für die schwules Leben nur aus Marianne Rosenberg und ewigtreuer Homo-Ehe besteht, werden Michael Sollorz' jüngstes Buch angeekelt in die Schmuddelecke werfen. Dabei ist „Abel und Joe“ kein billiger Porno, sondern eine literarische Reise von Blickkontakt zu Blickkontakt, eine unverblümte Tragikomödie über die ständige Jagd nach dem Mann. Abel sucht Joe. Seinen Freund, der sich auf und davon gemacht hat, am letzten Tag des Sommers 1993 in Berlin. Abel sucht Joe in Friedrichshain und in Tiergarten, in den ein- und zweischlägigen Kneipen des Prenzlbergs, beim taubstummen Gelegenheitslover sowie in der Sauna unterm Dach. Abels Sehnsucht und Verlangen entwickelt sich zum aufregend-erotischen Road-Movie durch die Szene, gespickt mit Erinnerungen, Selbstgesprächen und Träumen. Sollorz betrachtet diese verdammt schwule Stadt sehr genau aus der Sicht des Ossis wie des Wessis, er hat den Horizont des Hauptstadthomos wie den der Provinzschwester aus Bad Beichte.
Spannend ist in diesem Roman nicht allein die Frage, ob Abel Joe entdeckt, auch der Leser, vor allem wenn er schwul und in Berlin zu Hause ist, kann sich wiederfinden – in den Geschehnissen und Orten, in der Sehnsucht, dem Anonymen Vertrautheit zu geben. Abel, der großteils autobiographische Romanheld, gibt den unbekannten Männern im Park Namen: Flasche und Möppel. Und in der schwulen Beziehung wagt er sich ans Unausgesprochene heran: das Ficken ohne Gummi aus Liebe, die Eifersucht trotz Offenheit oder die Lust am fremden Schwanz. Aus Thomas Manns „Tod in Venedig“ hat sich Sollorz die Figur des Gustav von Aschenbach ausgeliehen: Abel begegnet ihm in der schwulen Steam-Sauna. Keine Krücke, um den literarischen Anspruch zu erhöhen, sondern Metapher für die Märchenhaftigkeit der Szene. Aus dem realen Leben ist hingegen der „lockige Rotbart mit Nickelbrille“ entlehnt, der im Whirlpool der Sauna ein Nickerchen hält – zweifellos Sollorz' Verleger Egmont Fassbinder. Das ist doch mal ein liebevolles Dankeschön, netter als jede kleingedruckte Widmung im Vorwort ... Micha Schulze
Buchvorstellung heute, 20 Uhr, im Theater Fürst Oblomov, Neue Promenade 6, Mitte, direkt am S-Bhf Hackescher Markt.
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