: PDS - Partei der Besserverdienenden
■ Die Analyse des Landeswahlamtes zur Bundestagswahl in Berlin zeigt: Die PDS-Wähler haben hohe Einkommen, der CDU laufen die Arbeitslosen weg und Selbständige wählen lieber Grün als FDP
Einen Tag nach der Bundestagswahl sinnierte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Dieter Hapel, über den Daten des Landeswahlleiters. Sein besonderes Augenmerk galt den dramatischen Stimmeneinbußen seiner Partei unter den sozial Schwachen Westberlins: Gegenüber der Bundestagswahl 1990 hatte die CDU 10,7 Prozentpunkte in den Bezirken mit dem höchsten Anteil einkommensschwacher Personen (monatliches Nettoeinkommen unter 1.400 Mark) verloren. Dagegen hielt sich für Ostberlin der Rückgang mit 5,6 Prozent noch in Grenzen. Sein Fazit für die Abgeordnetenhauswahlen im nächsten Jahr: „Wir dürfen die Interessenlage der Westberliner nicht länger vernachlässigen.“
In der Tat weist die Sozialanalyse aus dem Büro des Landeswahlleiters einige bemerkenswerte Ergebnisse auf, die insbesondere der CDU und der FDP schwer zu schaffen machen. Unter den Bezirken mit starker Erwerbslosenquote verlor die CDU besonders in jenen in Westberlin: Minus 11,1 Prozent gegenüber 1990. Hier konnten sowohl SPD als auch Grüne zulegen. Eindeutiger Liebling der Arbeitslosen im Osten war die PDS, die in Gebieten mit höchstem Anteil auf 38 Prozent kam. Zuwächse auch für die Grünen, die in den Westbezirken überall dort Spitzenwerte erzielten, wo besonders viele Erwerbslose wohnen. Nicht die FDP, sondern die PDS konnte sich – zumindest im Osten – als „Partei der Besserverdienenden“ etablieren: Wo dort wenige einkommensschwache Personen leben, war der Zuspruch für Gysis „bunte Truppe“ mit 38,5 Prozent am höchsten. Dagegen konnte sich unter den Ärmeren im Osten die SPD mit 34,6 Prozent vor der PDS (30,6 Prozent) plazieren.
Auch in den Bezirken, in denen die Quote der Sozialhilfeempfänger hoch ist, lag der Zuwachs der PDS – entgegen landläufigen Erwartungen – mit 2,7 Prozent unter dem von Bündnis 90/Die Grünen und SPD (5,7 beziehungsweise 4,1 Prozent). Ginge es nach dem Intelligenzquotienten, müßte die PDS Berlin demnächst regieren: Im Osten ist sie eindeutig die Lieblingspartei der früheren „DDR-Intelligenz“: Dort erreichte sie überall überdurchschnittlich gute Ergebnisse, wo der Anteil der Absolventen mit Hochschulreife am stärksten ist. Die Sozialdemokratie ihrerseits legte in allen Bezirken zu, wo der Bildungsgrad deutlich schwächer ausfällt.
Die CDU konnte ihre führende Rolle in jenen Berliner Gegenden behaupten, wo der Anteil der Selbständigen am stärksten ausgeprägt ist (Gesamtstadt: 32,7 Prozent CDU gegenüber 32,2 Prozent SPD). Hier konnten auch die Grünen mit 16,2 Prozent die FDP (7,2) und die PDS (7,8) hinter sich lassen. Interessant bleibt allerdings: In Ostberlin lag in den Bezirken mit dem höchsten Anteil an Selbständigen die Zustimmung für SPD (33,6) und PDS (31,3) immer noch klar vor der CDU mit 20 Prozent, während die FDP nur 2,1 Prozent auf sich vereinigen konnte. Selbst in den Westbezirken mit hohem Selbständigenanteil blieben die Liberalen – in besseren Zeiten die Partei der Ärzte und Rechtsanwälte – mit 9,5 Prozent weit hinter den Grünen (15,8).
In den Westbezirken, in denen besonders viele Ausländer leben, konnten Grüne und PDS besonders gute Ergebnisse erzielen. Dagegen lautet die Faustregel für die Christdemokraten: Wo wenige Ausländer wohnen, sind die meisten Stimmen zu holen. Zum Vergleich: In Bezirken mit niedrigem Ausländeranteil erzielte die CDU 45 Prozent gegenüber 31 Prozent in Gebieten mit den höchsten Ausländerquoten. Die SPD-Gewinne sind wiederum dort am stärksten, wo wenig Ausländer leben.
Die Partei der älteren Mitbürger ist eindeutig die CDU, die im Westen überall dort überdurchschnittlich gut abschneidet, wo der Anteil der über 50jährigen besonders stark ist: plus 10 Prozent gegenüber Gebieten mit überwiegend jüngeren Menschen. Hingegen schneiden die Grünen, aber auch die PDS überall dort besser ab, wo die Gruppe der 50jährigen kleiner ausfällt.
Die Gruppe der Nichtwähler, vor dem vergangenen Sonntag von allen Parteien umworben, konzentrierte sich insbesondere auf Gebiete mit hoher Arbeitslosigkeit: Der Anteil der Nichtwähler war im Westen mit 24,7 Prozent gegenüber den Bezirken mit niedriger Arbeitslosigkeit (17,2 Prozent Nichtwähler) besonders stark. Noch enger beieinander die Ost-Werte: 22,7 gegenüber 21,2 Prozent. Auch viele Ledige ab 25 Jahren machten einen weiten Bogen um die Wahlkabinen: In Gebieten mit hohem Ledigenanteil lag die Quote im Westen bei 23,3 und im Osten bei 25,9 Prozent. Severin Weiland
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