: Über Erich Honecker, „das Schwein“, geflucht ...
■ ... und vom Nachbarn verraten / Nun erhielt der Denunziant sechs Monate Haft
Halle/Magdeburg (taz) – Sechs Monate Haft auf Bewährung wegen „politischer Verdächtigung“ verhängte jetzt die Staatsschutzkammer am Landgericht Halle gegen den 41jährigen Magdeburger Uwe F. Ein Urteil, das wegen des geringen Stafmaßes schnell in der Flut anderer Richtersprüche untergehen kann, aber für die Staatsanwaltschaft dennoch ein Präzedenzfall ist. Denn mit Uwe F. wurde erstmals ein früherer Denunziant verurteilt, der einen unbotmäßigen DDR-Bürger nicht bei der Stasi, sondern in diesem Fall beim „Abschnittsbevollmächtigten“ (westdt.: Kontaktbereichsbeamter) der Volkspolizei angeschwärzt hatte. Wegen Beleidigung und Herabwürdigung wurde 1988 aufgrund dieser Denunziation der damalige Nachbar von Uwe F., Hans-Rainer Dombach, zu 14 Monaten Haft verurteilt.
Der heute 45jährige Dombach hatte damals längst mit der DDR abgeschlossen und einen Ausreiseantrag gestellt. Als der abgelehnt wurde, fluchte er in seiner Wohnung lautstark über die DDR und Erich Honecker. Die Schimpftiraden gipfelten nach der Erinnerung Dombachs in der Drohung: „Erich, du Schwein, wenn ich dich kriege, schlage ich dich tot!“ Uwe F. behauptete in der Hauptverhandlung zwar, daß er geglaubt habe, die lautstarke Gewaltandrohung Dombachs sei gegen seine Ehefrau gerichtet gewesen, aber das wertete das Gericht als bloße Schutzbehauptung. Denn der 41jährige war seinerzeit schnurstracks erst zum Abschnittsbevollmächtigten und dann zur Volkspolizei gelaufen, und die verhaftete Dombach wenige Minuten später und leitete ein Ermittlungsverfahren wegen öffentlicher Herabwürdigung ein. Das endete zwei Monate später mit der Verurteilung Dombachs. Elf der 14 Monate mußte Dombach absitzen, dann wurde er von der Bundesrepublik freigekauft.
Nicht nur die Anzeige und Aussage von Uwe F. führte zur Verurteilung des DDR-Dissidenten. Auch andere Nachbarn und Passanten waren damals gern bereit, Dombach mit ihren Aussagen der sozialistischen Justiz auszuliefern. Auf einige von ihnen kommt jetzt möglicherweise auch noch ein Prozeß zu.
Für die Schwerpunktabteilung der Magdeburger Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von SED- Unrecht ist das Urteil trotz geringen Strafmaßes ein Präzedenzfall. Denn bislang wußten die Ermittler nicht genau, wie sie mit derartigen Fällen umgehen sollen. Allein im Bereich der Staatsanwaltschaft Magdeburg sind bis zu 100 gleichartige Fälle anhängig.
Dombach selbst hat übrigens niemals Anzeige gegen seinen Denunzianten Uwe F. gestellt. Die Staatsanwaltschaft stieß bei Ermittlungen gegen frühere Richter und Staatsanwälte wegen des Verdachts der Rechtsbeugung auf diesen Fall und leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Eberhard Löblich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen