: Öko-Grüße aus Rio de Janeiro
■ Hamburgs Grüne streiten über die endgültige ökologische Wende Von Florian Marten
Tatort Hamburger Rathaus: Eine Handvoll grün gesinnter Menschen hat sich am späten Mittwochabend im feinen Bürgerschaftssaal „B“ eingefunden. Auf der Tagesordnung; Die endgültige und radikale ökologische Wende für Hamburg. Für die Mitglieder der grünen Parteiarbeitsgruppen „Ökologischer Ratschlag“ und „Wirtschaft“ geht es längst nicht mehr um das Ob, sondern nur noch um das Wie: Sollen die Grünen erst selbst einen Öko-Katechismus für Hamburg entwickeln – Arbeitstitel „Agenda 21. Jahrhundert“ – oder sollen sie sich gleich mit einem überparteilichen „Forum Sustainability“ an die Rettung von Hamburg und der Welt machen?
Denn: Die Staaten der Welt haben die ökologische Wende längst beschlossen, Bundeskanzler Kohl hat sie abgezeichnet, Henning Voscherau wird ihr in Kürze eine Arbeitsgruppe widmen müssen. Die Ergebnisse der Unced, der Uno-Konferenz für Umwelt und Entwicklung vom 1. bis 12. Juni 92 in Rio de Janeiro sickern langsam von Papierberg zu Papierberg. „Sustainable Development“, schlecht übersetzt mit „Nachhaltige Entwicklung“, heißt das Ziel, auf das sich die Rio-Staaten verabredet haben, ein Ziel, das mittlerweile zum Beispiel dem Chemieriesen Hoechst eine Anzeigenkampagne wert ist, bei der, im Mittelpunkt ein nachdenklicher blonder Kinderkopf, als zentrale Botschaft prangt: „Sustainable Development? Spätestens in 20 Jahren weiß er, was das heißt.“ Und, kleingedruckt: „Für eine neue Qualität des Wachstums.“
Tatsächlich haben die Rio-Staaten sich verpflichtet, in ihren Ländern auf eine Wirtschafts- und Lebensweise umzuschalten, die das Überleben des Planeten Erde sichert – und die der Menschen, die auf ihm leben. Problem ist nur: Wie werden aus Beschlüssen Taten? Und: Wie interpretieren Staaten, Regionen und Städte den Begriff?
So hat das internationale Unced-Vorbereitungskomitee beispielsweise in einem schlichten Satz zusammengefaßt, wohin die Entwicklung der reichen Städte und Regionen gehen muß, um die Zerstörung des Planeten Erde zu stoppen: „Es ist klar, daß der gegenwärtige Lebensstil und die Konsumgewohnheiten der reichen Mittelklasse in einigen entwickelten Ländern, die verbunden sind mit hoher Fleischzufuhr, dem Verzehr großer Mengen gefrorener und Bequemlichkeitsnahrung, Besitz von Automobilen, zahlreichen elektrischen Hausgeräten, Aircondition zu Hause und am Arbeitsplatz, weitverbreiteten Flugreisen, raumfressender Stadtrandbesiedelung, motorisiertem Verkehr und Shopping, nicht tragfähig sind.“
Ob Hoechst, Voscherau und Kohl das meinen, wenn sie auf „nachhaltige Entwicklung“ setzen? Wohl kaum. Und eben deshalb trafen sich am Mittwochabend die Grünen im Rathaus. Ziel ist es, vor Ort Einfluß zu nehmen auf die Umsetzung der Beschlüsse von Rio. Während der Deutsche Städtetag noch an einem Konzeptpapier für kommunale und regionale Entwicklungsstrategien arbeitet, gibt es in Deutschlands Öko-Hauptstadt Freiburg schon Volkshochschulkurse, welche die Bevölkerung zum Mit-Entwickeln einladen.
Im Idealfall könnten lokale Konzepte spezielle Handlungsfelder und Umsteuerungspotentiale in den einzelnen Regionen aufzeigen und gemeinsame Verhaltensänderungen von Politik, Wirtschaft und Konsumenten erreichen. Die Grünen würden sich für Hamburg gern an die Spitze einer solchen Bewegung stellen. Klaus Baumgart, altgedienter grüner Umweltspezi, favorisiert dabei zunächst den innergrünen Dialog: „Erst müssen wir selbst wissen, was wir wollen.“ Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Alexander Porschke will dagegen erst „die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit verkleinern“, jene Lücke, die zwischen „der Rio-Konvention und ihrer realen politischen Umsetzung“ klaffe.
Am Mittwochabend konnten sich die Grünen über den richtigen Weg noch nicht einigen. Statt einer Kampfabstimmung votierten die Rio-Freunde für eine Doppelstrategie: beide Wege gehen. Allerdings sehr gemächlich. Erst im Januar wollen die Öko-Revolutionäre erneut tagen. Allerdings: Selbst der flinke Chemieriese Hoechst gibt uns 20 Jahre Zeit, „die große Herausforderung einer integrierten, ökonomischen, ökologischen und sozialen Entwicklung“ zu begreifen.
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