: Alternativen für Mieter und Hausbesitzer
■ Insgesamt 77 Sanierungsgebiete wurden seit 1972 in Berlin festgelegt / Seit 1990 fließt das Geld vor allem in den Ostteil / Mieterhöhungen im kommenden Jahr
Die Mitte Oktober von Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) festgelegten elf Sanierungsgebiete waren eigentlich schon im vergangenen Jahr beschlossene Sache. Kurz nachdem im August 1993 die ersten fünf Sanierungsgebiete in Ostberlin präsentiert wurden, kündigte Nagel an, weitere elf der insgesamt 34 Untersuchungsgebiete im Ostteil förmlich als Sanierungsgebiet festzulegen.
Daß dafür ein Jahr ins Land gehen mußte, ist insbesondere dem Finanzsenator geschuldet. Wäre es nach Elmar Pieroth (CDU) gegangen, stünde die Sanierung mit öffentlichen Mitteln längst vor dem Aus. Jetzt soll die Sanierung auf niedriger Basis als finanzpolitischer Kompromiß laufen: Die Low-level-Sanierung belastet den Etat nicht, sondern wird aus dem regulären Stadterneuerungstopf finanziert, den Pieroth jährlich mit etwa 700 Millionen Mark füttert. Folge: Nahezu sämtliche Mittel für Stadterneuerung fließen in die ausgewiesenen Sanierungsgebiete.
Vor 25 Jahren noch verstand man unter Sanierung Kahlschlag. Erst mit der Altbau-IBA und den Protesten der sanierungsbetroffenen Kreuzberger begann ein Umdenken, das schließlich 1974 in die Leitlinien für „behutsame Stadterneuerung“ mündete. Deren Kernstück war neben der Bürgerbeteiligung die Modernisierung und Instandsetzung der maroden Häuser mit öffentlichen Mitteln. Im Lauf der Zeit wurden ganze Teile Kreuzbergs, Schönebergs und Charlottenburgs zu Erneuerungsgebieten, kauften treuhänderische Sanierungsträger straßenweise Grundstücke auf und finanzierten mit Steuermitteln, was die Hauseigentümer jahrelang unterlassen hatten: die Instandsetzung.
Neben den 16 nach der Vereinigung festgelegten Sanierungsgebieten gibt es im Westteil der Stadt immer noch 23 städtebauliche Erneuerungszonen. 15 wurden inzwischen aufgelöst, weitere 23 Gebiete, auch im Westteil, harren als sogenannte Untersuchungsgebiete der förmlichen Festlegung als Sanierungsgebiet durch den Senat.
Das Geld freilich fließt seit 1990 vor allem in den Ostteil der Stadt. Ungeachtet der ungeklärten Eigentumsverhältnisse wurden kurz nach der Vereinigung bereits das 25-Millionen- und das Leerstandsbeseitigungsprogramm aufgelegt, der Erneuerungsetat 1991 betrug gar 1,2 Milliarden Mark. Doch bereits 1992 gab es Sperrfeuer von der Finanzverwaltung. Keine Sanierungsgebiete mehr, hieß die Losung Pieroths, Sanierung vor allem durch private Eigentümer (die dabei elf Prozent der Baukosten auf die Miete umschlagen können), und im übrigen Verkauf städtischer Wohnungen.
Nagels Entgegenkommen: die Novellierung der Modernisierungs- und Instandsetzungsrichtlinien. Statt einer Einstiegsmiete von bislang 5,80 Mark je Quadratmeter soll nun ein Eigentümer, der öffentliche Gelder in Anspruch nimmt, die Miete bis auf den Wert des Mietspiegels erhöhen dürfen. Im Klartext: Neun Mark je Quadratmeter kalt sind ab 1995 auch bei öffentlicher Förderung keine Seltenheit mehr.
Während Mieterberater in diesem Zusammenhang von einem Ausverkauf der sozialen Stadterneuerung sprechen, verweist man in der Bauverwaltung darauf, nicht nur für die Mieter, sondern auch für die Eigentümer eine finanzielle Alternative zur Privatmodernisierung schaffen zu wollen. Ungeachtet des Gerangels im Senat – einen Vorteil haben die Sanierungsmieter auf jeden Fall. Spekulative Grundstücksverkäufe sind künftig untersagt, entscheidend ist der Verkehrswert eines Hauses. Und jede Baumaßnahme, auch Privatmodernisierungen, müssen künftig vom Bezirksamt genehmigt werden. Uwe Rada
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