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Im Schatten des Ostkreuzes

Neben weiteren zehn Sanierungsgebieten wurde auch der Friedrichshainer Traveplatz/Ostkreuz als Standort der Stadterneuerung festgelegt  ■ Von Uwe Rada

Die Idylle ist unerwartet. Ein schmaler Pfad entlang der Bahntrasse, linker Hand eine Gründerzeitvilla, dann Schrebergärten, schließlich eine kleine zugewachsene Insel samt altem Bahnwärterhäuschen, umgeben von den Bahntrassen der Stadt- und Ringbahn. Ostkreuz. Der Name ist Programm: ein Verkehrsknoten, um den sich sieben S-Bahn-Linien wickeln, weit draußen im Osten, umgeben von maroden Mietskasernen, Gründerzeitfabriken und verwilderten Stadtbrachen. Seit Mitte Oktober steht Ostkreuz nun auch für Sanierung. Zusätzlich zum Samariterviertel wurde der Friedrichshainer Kiez zwischen Traveplatz und Ostkreuz zusammen mit dem Untersuchungsgebiet Warschauer Straße förmlich als Sanierungsgebiet festgelegt.

Graue Hinterhäuser, von denen der Putz fällt – in der Weichselstraße wohnt Karsten seit drei Jahren. Die bröckelnde Fassade stört den Studenten nicht. Er ist in eine Wohnung gezogen, die seit geraumer Zeit leer stand, und hofft nun auf einen Mietvertrag von der Wohnungsbaugesellschaft. Noch immer stehen von 6.650 Wohnungen im künftigen Sanierungsgebiet 1.200 leer. Weil sie keiner wolle, ließ die Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) einmal verlauten. Karsten sieht das anders. Bedarf gebe es genug, doch die Konditionen müßten stimmen, soll heißen, finanzielle Unterstützung beim Ausbau und eine entsprechende Zeit mietfreies Wohnen. Von der Festlegung zum Sanierungsgebiet verspricht sich Karsten, daß Privatmodernisierer hier nicht – wie etwa im Prenzlauer Berg – zum Zuge kommen. Auf der anderen Seite befürchtet er, daß auch bei öffentlichen Bauvorhaben bald andere Zeiten anbrechen für Wohnungsbesetzer und illegale Untermieter.

Daß im Friedrichshainer Osten saniert werden muß, ist freilich unumstritten. Zwar wurden die Mietskasernen nördlich des Ostkreuzes, anders als im zuvor erbauten Stralauer Viertel an der Spree, erst zu Beginn dieses Jahrhunderts errichtet. Doch ihr Zustand unterscheidet sich kaum von den rund dreißig Jahre älteren Gründerzeitbauten im Prenzlauer Berg. Ein Großteil der Wohnungen muß gar umfassend saniert werden. Entsprechend groß ist die Angst der Mieter vor Verdrängung. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen der rund 9.000 Bewohner zwischen Scharnweber- und Neuer Bahnhofstraße beträgt gerade einmal 1.700 Mark netto, das Pro- Kopf-Einkommen liegt bei 1.000 Mark.

Dennoch befürchtet das Stadtforschungsinstitut Topos, das im Auftrag der Senatsbauverwaltung die vorbereitenden Untersuchungen im Gebiet zu einer Sozialstudie zusammengefaßt hat, keine größeren Vertreibungsprozesse. Insbesondere für Privatmodernisierer sei das Gebiet nicht erst durch die Festlegung zum Sanierungsgebiet aufgrund der mangelnden sozialen und vor allem kulturellen Angebote wenig attraktiv – im Gegensatz etwa zum Prenzlauer Berg. Ein Optimismus, den Uwe, ein Besetzer aus der Jessnerstraße, freilich nicht teilen kann. Die Gegend, sagt er, sei eingepfercht zwischen zwei große Dienstleistungszentren am Ostkreuz und an der Frankfurter Allee. „Da wird ein großer Verwertungsdruck auf das Gebiet zukommen.“

Bot das Ostkreuz noch vor geraumer Zeit die unübersichtliche, traurig-triste Kulisse für einen Kinofilm, soll künftig Übersichtlichkeit und Glas die Regie führen: Nahezu zwei Millionen Quadratmeter Bürofläche sollen nach dem Willen privater Investoren rund um das Ostkreuz entstehen. Den Anfang macht die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) auf dem Gelände der ehemaligen Knorr-Bremse.

Für die mehreren tausend Angestellten, weiß auch Heidi Brunner, wird auf der Industriebrache zwischen Boxhagener Straße und Weserstraße bereits eine „Schlemmermeile“ ins Auge gefaßt. Heidi Brunner betreibt seit über einem Jahr einen Kiez-Buchladen am Traveplatz. „Noch ist die Miete bezahlbar“, sagt sie, „doch die Nähe zu den geplanten Dienstleistungszentren wird sich vor allem auf die Gewerbemieten auswirken.“ Zwar werden durch das Sanierungsrecht spekulative Hausverkäufe untersagt und private Modernisierungsmaßnahmen vom Bezirksamt auf ihre Sozialverträglichkeit geprüft, aber die Gewerbemieter haben kaum Chancen, sich gegen Mieterhöhungen zur Wehr zu setzen.

Ob die Festlegung des Sanierungsgebiets Traveplatz/Ostkreuz tatsächlich, wie vom Bausenator formuliert, zur „Aufwertung der Lebensqualität“ führt, wird sich erst noch zeigen müssen. Statt bislang neun Millionen, kritisiert die baupolitische Sprecherin der Grünen im Bezirk, Claudia Hertel, sollen in Friedrichshain im kommenden Jahr im Rahmen der Globalzuweisung an die Bezirkshaushalte nur noch sieben Millionen für sanierungsbegleitende Maßnahmen wie Sozialplanverfahren oder Umsetzwohnungen zur Verfügung stehen. Der Verwaltungsaufwand hat sich mit den beiden neuen Sanierungsgebieten freilich verdreifacht.

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