: Bittere Kämpfe um Kabul
■ Versorgungsstraßen zur Hauptstadt Afghanistans fast völlig gesperrt
Delhi (taz) – Der Kampf um Kabul, dem zentralen Schauplatz im afghanischen Bürgerkrieg, ist in den letzten Wochen mit unerbittlicher Härte weitergegangen. Seit Freitag starben wieder mindestens 61 Menschen, zahlreiche weitere wurden verletzt. Seit September gab es zwischen 600 und 800 Tote, schätzen Hilfsorganisationen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz beziffert die Zahl der Verwundeten allein für diesen Zeitraum auf 17.000.
Die Kämpfe zwischen Anhängern von Präsident Burhanuddin Rabbani und seinem Rivalen Gulbuddin Hekmatjar konzentrieren sich auf die südwestlichen und westlichen Quartiere der afghanischen Hauptstadt, die vom Kampfgeschehen bisher relativ verschont geblieben waren.
Der Grund dafür hatte in deren Kontrolle durch die zwei wichtigsten Schiitengruppen, Hizbe Wahdat und Harkarat Islami, gelegen. Die beiden Guerillaorganisationen bekämpften sich zwar, da erstere mit Hekmatjar und die zweite mit Rabbani zusammenarbeiten. Aber sie verfügten nicht über die schwere Artillerie ihrer „Overlords“, und für den Austausch von Verwundeten und Toten und selbst für Zivilpersonen und Lebensmittel wurde ein kleiner Grenzverkehr toleriert.
Nun ist aber gerade zwischen diesen beiden Gruppen der Krieg mit einer Intensität entbrannt, die alle bisherigen Auseinandersetzungen verblassen läßt. Der Grund liegt in Rivalitäten innerhalb der Wahdat, die vom Harkarat-Kommandanten Anwari benutzt wurden, um Wahdat anzugreifen und seine Organisation zur beherrschenden Schiiten-Gruppierung zu machen.
Allerdings geht es bei den Haus- zu-Haus-Kämpfen nicht nur um die Beherrschung von Objekten, welche lediglich den Rachedurst zerstrittener Glaubensbrüder stillen soll. Im Südwesten der Stadt beginnt die Ausfallstraße in die Hazara-Region und nach Herat. Gleichzeitig führt eine Straße von dort in den Süden nach Kandahar. Der Verlust dieser Zugänge droht die Hauptstadt vollständig abzuschnüren, nachdem die Straßen nach Gardez im Süden und nach Jalalabad im Osten in den Händen von Rabbanis Gegnern sind.
Mit dem Fall der Stadt Khenjan, 160 Kilometer nördlich von Kabul, Anfang September ist auch eine wichtige Verbindungsstraße in den Norden in den Händen Hekmatjars. In Afghanistan steht der Winter vor der Tür, und damit auch der Hunger. Lebensmitteltransporte aus Pakistan werden von Hekmatjar nicht mehr durchgelassen, und auch auf anderen Wegen kommen Versorgungsgüter kaum noch in die Stadt. Möglicherweise will Hekmatjar wieder einmal einen Aufstand der Kabulis gegen Rabbani provozieren. Dessen Artillerie greift daher zunehmend in die Kämpfe zwischen den beiden Schiiten-Fraktionen ein.
Die Intensität des Kriegs spiegelt auch die Lähmung auf der politischen und diplomatischen Ebene wider. Die „Loya Jirga“, Stammesrat, die der Rabbani-Verbündete Ismael Khan im August in Herat zusammenbrachte, war zu stark von Rabbani-Loyalisten durchsetzt, um eine breite Unterstützung zu finden. Die von diesem Rat eingesetzte Kommission zur Wahl eines Interimspräsidenten stob kurz darauf in Kabul unter dem Bombenhagel von Hekmatjars Kanonen auseinander. Und nachdem eine neue Runde von Friedensgesprächen am vergangenen Donnerstag in Jalalabad scheiterte, setzte die jüngste Welle der Kämpfe ein.
Die Bemühungen des UNO- Vermittlers Mahmoud Mestiri sind ebensowenig erfolgreich, und die etwas großspurige Ankündigung einer „dritten Phase der Friedensbemühungen“ durch UNO-Generalsekretär Butros Ghali Anfang September in Islamabad verhüllte kaum den vollständigen Mißerfolg der ersten zwei Phasen. Auch Sotirios Mousouris, der persönliche Vertreter des Generalsekretärs in Afghanistan (mit Sitz in Islamabad), kann nicht mehr als die Hände ringen. Sein undiplomatischer Kommentar zu den jüngsten Kämpfen verrät den Grad seiner Verbitterung: „Ich bin erstaunt zu sehen, daß Führer, die behaupten, für Afghanistan Sorge zu tragen, nicht den Mut finden, sich aus dieser tödlichen Umarmung zu befreien.“ Bernard Imhasly
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