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Kalter Krieg gegen US-Bevölkerung

■ Mindestens 23.000 US-AmerikanerInnen wurden zu Forschungszwecken radioaktiv verstrahlt / Untersuchungskommission zeichnet die ethische Debatte unter den beteiligten Wissenschaftlern nach

Berlin (taz/wps) – Mehr als 23.000 US-AmerikanerInnen wurden unmittelbar für Nuklearversuche mißbraucht – meistens ohne ihr Wissen. Etwa 1.400 Strahlenexperimente hat das von US-Präsident Bill Clinton im Frühjahr eingesetzte Untersuchungsgremium, das die Forschung mit radioaktiven Materialien von 1944 bis 1974 untersuchen soll, bereits dokumentiert. Bei mindestens 400 dieser Experimente handelte es sich um biomedizinische Experimente mit Menschen.

Die Wissenschaftler injizierten ihren Probanden Plutonium oder jagten Soldaten durch ein Gebiet, in dem sie kurz vorher eine Atombombe gezündet hatten. Auch absichtliches Freilassen von radioaktiven Substanzen in die Luft gehörte zum Programm: So verfolgten Wissenschaftler im Bundesstaat Washington eine radioaktive Jodwolke bis nach Kalifornien.

1986 hatte der Kongreß erstmals die Frage nach den Experimenten aufgeworfen. Damals war von 31 Versuchen die Rede. Im Juni dieses Jahres hatte das Energie-Ministerium über weitere 48 Experimente informiert. Der im nächsten Frühjahr erwartete Schlußbericht wird wahrscheinlich noch viel mehr Betroffene aufzählen als die bisher bereits bekanntgewordenen, vermutet Ruth Faden, die dem 14köpfigen Untersuchungsgremium vorsteht.

Die Medizinethikerin von der John-Hopkins-Universität beschrieb am Samstag in der US- amerikanischen Presse außerdem, wie die Diskussionen über die Rechtmäßigkeit der Experimente unter den beteiligten Wissenschaftlern Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre gelaufen sind. 1954 beispielsweise habe das Verteidigungsministerium gefordert, die Experimente müßten sich streng an die ethischen Codes der Mediziner halten, die als Konsequenz der Nürnberger Prozesse aufgestellt worden waren. Andererseits schrieb das Pentagon vor, daß sie als höchst geheim behandelt werden müßten. „Wir versuchen noch immer nachzuvollziehen, wie jemand zugleich glaubte, ein ethisch einwandfreies Experiment zu machen und zugleich auf völlige Geheimhaltung bestand“, so Faden. Auch sei damals diskutiert worden, ob für die Versuche lieber Gesunde oder Schwerkranke genommen werden sollten.

In den nächsten sechs Monaten will die Untersuchungskommission herausfinden, nach welchen Kriterien die Versuchspersonen ausgewählt wurden, inwieweit sie informiert waren und ob sie Kompensationen erhalten haben. Wieweit das gelingt, ist jedoch unklar. Sowohl das Verteidigungs- als auch das Energieministerium will nicht alle Dokumente herausrücken. Und auch der CIA mauert: Obwohl der Geheimdienst zumindest in den 50er Jahren eingeweiht war, behaupten seine Vertreter, keine Unterlagen über die Vorgänge zu besitzen.

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