: „Unwürdiger Auto-Terror“
■ Auswärtige Stadtplanungs-Experten basteln an der Zukunft der Bremer City
Was haben Bremen und Portugal gemeinsam? Das angeknackste Selbstbewußtsein eines einst stolzen Seefahrer- und Handelsvolkes, das seiner einstigen Bedeutung nachtrauert. Was ist der Unterschied zwischen Bremen und Portugal? Die Portugiesen verarbeiteten ihre Melancholie in der wunderschönen Musik des Fado, die Bremer jammern.
Ein unabhängiges Expertengremium, das die Bremer in Sachen Stadtplanung auf den Pott setzen soll, ist der Planungsbeirat – er traf sich in dieser Woche zum dritten Mal. Auf der Basis des „Entwicklungskonzeptes Innenstadt“ beurteilen ArchitektInnen, StadtplanerInnen und Soziologen aus dem gesamten Bundesgebiet und der Schweiz konkrete Planungen und liefern dem Bau- und dem Stadtplanungsressort Ideen für das Bremen von morgen. Der Blick von außen fördert Überraschendes zutage: „Die Stadt strahlt eine unglaubliche Vitalität aus“, urteilt etwa der Schweizer Architekt Carl Fingerhuth, und der Darmstädter Hochschullehrer Max Bächer schiebt nach: „Bremen verkauft sich sehr schlecht. Und nicht etwa die Stadt ist provinziell, sondern nur das Verhältnis der Bevölkerung zu ihr.“
Derart gebauchpinselt ging es allerdings bei der dritten Sitzung schonungslos weiter. Auf der Tagesordnung: das Faulenquartier. Per Senatsbeschluß soll diese mögliche Cityerweiterung aufgewertet werden – ein langer Weg, wenn man die Beurteilung des Planungsbeirates hört: Die Faulenstraße sei „verludert“, der Brilltunnel „unwürdig“, Autos „terrorisieren“ harmlose FußgängerInnen – und ein Anschluß an die City sei „mit der Bürgermeister-Smidt-Straße nicht möglich“. Dennoch machten die ExpertInnen im Faulenquartier ein „attraktives Wohnviertel“ aus – das es auch bleiben soll, gemischt mit Büros und Gewerbe. Und die Option auf den Anschluß an das Hafenquartier – Stichwort „Wohnen im Europahafen“ – müsse verkehrsplanerisch offen bleiben. Um das bisher durch Hochleistungsstraßen, Wall und Weser isolierte Viertel zu öffnen, sollten die Fahrspuren auf Bürgermeister-Smidt- und Martinistraße verengt werden und dort Boulevards entstehen – „so daß Fußgänger, Autos und Radfahrer miteinander in Frieden leben können“, formuliert es Fingerhuth. Von einer Ausweitung der Einkaufszone ins Faulenquartier riet der Planungsbeirat ab: „Priorität für die Cityentwicklung sollte der Ausbau der Nord-Süd-Achse vom Bahnhof bis zur Weser haben“.
Ein zweiter Schwerpunkt war das autofreie Wohnen im Hollergrund – ein leicht brenzliges Thema, ist doch auch Thomas Krämer-Badoni, „Vater“ des Projektes, Mitglied im Planungsbeirat. Die Architekturjournalistin ingeborg Flagge sparte aber nicht mit Kritik: Im Prinzip sei das autofreie Wohnen „eine gute Idee“, die aber nicht weit genug ausgereizt sei. Da wünschte sich der Beirat mehr visionäre Ideen: „Im Grunde unterscheidet sich der Entwurf nicht sehr von Wohnsiedlungen aus den 60er, 70er Jahren, wo die Autos am Rande geparkt wurden.“
Zuvor hatte sich der Beirat sich für die Beibehaltung der Straßenbahn in der Obernstraße, einen besseren Anschluß des Domshofes zum Markt und eine Anbindung der Geschäftsachse an den Bahnhof ausgesprochen. Im März –95 werden die Neustadt, Grünflächen und Verkehr Thema sein.
Susanne Kaiser
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen