Tanz auf Trümmern

■ Ein neues Kulturzentrum im Bremer Westen: In den alten Hallen der „AG Weser“ blühen Kunst und Kommerz

Kaum jemand den Künstlerinnen und Künstlern eine Chance, die vor anderthalb Jahren das alte Arbeiteramt der AG Weser besetzten. Als Vorhut kommender Attraktionen zogen sie in den malerisch verfallenen Industrieprachtbau ein, bei schlimmstem Wind und Wetter, die kaputten Fenster notdürftig mit Planen zugedeckt. Eine Ausstellung rings ums Haus, mit Gastkünstlern aus Danzig – das schien die erste und letzte Veranstaltung an dem verlassenen Ort zu sein. Jetzt sind die Fenster dicht, die Wände frisch verputzt und vor allem das schöne Glasdach im Treppenhaus restauriert: Mit einem Aufwand von 5,2 Millionen Mark putzt die „Stiftung Wohnliche Stadt“ das gute Stück Industriearchitektur heraus; und auch in der Nachbarschaft soll demnächst Kultur auf den Trümmern der Werftindindustrie blühen.

„Wir wollen da möglichst schnell Leben reinkriegen“, beschreibt Planer Martin Passlack den Ehrgeiz der Stiftung. Nachdem „Dach und Fach“ wieder in Ordnung sind, wird derzeit die nötige Kabelage verlegt. Im Frühjahr könnten die ersten Veranstaltungen im erneuerten Gemäuer stattfinden und Publikum auf die entlegene Industriebrache ziehen. Das „Lichthaus“ – diesen Künstlernamen hat der Bau schon mal weg – „soll eine überregionale, stadtweite Bedeutung als Kulturstätte bekommen“, sagt Passlack.

Und es soll nicht die einzige Attraktion im Westen bleiben. Neben dem „Lichthaus“ wird auch die gleichfalls brachliegende Hojo-Halle eine kulturelle Neubelebung erfahren; zum Konzept gehört schließlich auch noch der ausrangierte Fähranleger, an dem die künftigen Kulturgäste anlanden könnten. Was wie eine hübsche Utopie klingt, hat tatsächlich schon greifbare Formen angenommen. Der Bauantrag für den Fähranleger ist bereits auf den Weg gebracht. Und der Kauf der Hojo-Halle durch einen Investor steht ebenfalls vor dem Abschluß: Heiner Hellmann, Betreiber der Neustadtdisco „Modernes“, will einen Schuppen für alle Fälle draus machen. Eine Tecknoparty inmitten der stählernen Halle zog im vergangenen Jahr etwa 2000 Tanzwütige an – „eine Disco soll es aber nicht werden“, sagt Hellmann. Dafür aber sonst alles mögliche: Konzerte, Theaterspektakel, Messen, Ausstellungen könnten hier nach Hellmanns Vorstellung einen neuen Platz finden – „da paßt eigentlich alles 'rein.“

Ähnlich vielseitig wird wohl auch das Programm im „Lichthaus“ selbst aussehen. So schwebt es zumindest den Künstlern des „Atelierhaus-Vereins“ vor, die das ganze Unternehmen ins rollen gebracht hatten. Im ersten Stock des Hauses entstehen derzeit Gastateliers sowie ein kleiner Galerieraum des Vereins. Vor allem aber sollen viermal jährlich größere Kunstprojekte rings um das Haus stattfinden. Zum 8. Mai sind schon mal befreundete Kunstschaffende eingeladen, um gemeinsam mit den Bremern den Sieg der Roten Armee zum Kunstthema zu machen.

„Wir wollen das Lichthaus als Ort für experimentelle Kunst etablieren“, sagt Claus Hammer vom Atelierhaus-Verein. Daß sich das nicht auszahlt, auch wenn noch so viele Besucher ins neue Kulturzentrum des Westens finden, wissen die Künstler freilich. Um die Kunst zu finanzieren, müssen auch hier kommerzielle Veranstaltungen her: „Konzerte, Kabarett, Theater“, möglichst 50mal im Jahr.

Die Künstler selber werden nur noch ausnahmsweise den Charme des neuen „Lichthauses“ genießen. Längst haben sie anderswo dauerhafte Ateliers gefunden. „Es zeichnet sich ab, daß dieses Haus so saniert wird“, sagt Hammer, „daß sich die meisten Künstler die Miete nicht mehr leisten könnten.“ tom