piwik no script img

Der Osten ist besser

Nachdem die deutschen Volleyballerinnen das WM-Viertelfinale erreicht haben, sieht Bundestrainer Köhler seine Personalauswahl bestätigt  ■ Von Holger Gertz

München (taz) – Im Sommer hat man beobachten können, wie weit Siegfried Köhler aus Oberwerschen/Sachsen schon vorgedrungen ist in die glitzernde Erlebniswelt aus Deutschland-West. Kostümiert mit extrastark verspiegelter Sonnenbrille, buntem T- Shirt, die Schirmmütze über das schüttere Haar gezogen, hat der Volleyballbundestrainer zugesehen, was seine Frauen auf sandigem Boden zu leisten im Stande sind. Wie denn seine Beziehung zu sun and fun and Beachvolleyball sei, hat einer von Köhler wissen wollen, und der hat gesagt: „Man kann sich daran gewöhnen.“

Siegfried Köhler hat sich an vieles gewöhnen müssen, seitdem sein Staat der Arbeiter und Bauern dahingegangen ist und er sich im Westen wiedergefunden hat, betraut mit dem Amt des Nationalcoachs, zuständig für die Frauen. Früher hat er die besten Volleyballerinnen des Landes um sich geschart, 30 Stunden die Woche, die Auswahl war problemlos mobilisierbar, weil für das Prestige von Volk und Vaterland unterwegs. Europameister ist er gewesen, 1987, WM-Vierter, Olympia-Fünfter. Das ist lange her, gerade hat seine Mannschaft in Sao Paulo sechs wackere Frauen aus Aserbaidschan mit 3:1 überwältigt, damit das Teilnahmerecht am WM-Viertelfinale erstritten, und Köhler (50) hat gesagt, daß „wir unser Ziel geschafft haben. Wir wollten unter die ersten Acht.“

Die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Ansprüche; das wird jeder verstehen, der die Trainingsbedingungen in Deutschland kennt. Studieren müssen die Frauen oder arbeiten, alles neben dem Volleyball; den Vereinen müssen sie in etlichen Liga- und Pokal- und Europacup- und Privatspielen zur Verfügung stehen. Das zehrt, Köhler hat vor zwei Jahren gefordert, die Nationalspielerinnen an einem Ort ganzjährig zu konzentrieren, nur so könne man näher herankommen an die großen Nationen Brasilien, Kuba, USA, Rußland. Dazu waren die Vereine nicht bereit. Wenn die Nationalspielerinnen abgezogen seien, kämen ja noch weniger Leute zu den Vergleichen in der Bundesliga, haben sie schlüssig argumentiert. „Da habe ich gemerkt, daß wir unsere Ziele niedriger hängen müssen“, sagt Köhler.

Die Differenzen zwischen Ost und West haben sich auch auf die Mannschaft ausgewirkt. Köhler hat seit 1990 eine stattliche Zahl von Volleyballerinnen getestet und ist am Ende wieder bei jenen angelangt, die er schon länger kennt. Ute Steppin, Constance Radfan, Susanne Lahme; die Stützen der Mannschaft sind allesamt von Köhler zwischen Berlin und Schwerin ausgebildet. Rechtzeitig zur WM hat er die Berliner Mittelblockerin Grit Naumann überredet, in die Mannschaft zurückzukehren. Die hatte 1989 mit 23 Jahren und 250 Länderspielen für die DDR ihre internationale Karriere für beendet erklärt; seit sie wieder dabei ist, „spielen wir zwei Klassen besser“, sagt Köhler, derweil die Kolleginnen von einst sich freuen über die Zusammenführung.

In den letzten Jahren sei die Stimmung „nie so gut gewesen wie jetzt“, hat Kapitänin Susanne Lahme beobachtet, und Constance Radfan, die schon drauf und dran gewesen war, ihre Tätigkeit im Nationalteam aufzukündigen, will jetzt lieber weitermachen, „wo alles so gut läuft“.

Und Frauen aus dem Westen? Die einzige, die zur Stammformation bei der WM gehört, ist Nancy Celis, und die ist Belgierin von Geburt. Karin Steyaert, Beate Bühler, Danja Müsch, Ulrike Schmidt, Maike Friedrichsen; eine ganze Mannschaft hat sich in den letzten Jahre verabschiedet. Weil sie mit dem Trainer nicht klargekommen sind, haben sie gesagt. Weil die Spielerinnen entbehrlich gewesen seien und es nicht geschafft hätten, die Beschränktheit ihrer Fähigkeiten zu akzeptieren, hat Köhler gesagt. Wer der Schurke ist im Stück, läßt sich schwer herausfiltern; in jedem Fall hat Köhler aufgehört, den Spielerinnen hinterherzurennen. Er habe wenigstens „gelernt, daß man sich hier schützen muß gegen alles, was von außen kommt“, sagt Köhler. Die Richtlinien für den Umgang mit aufmüpfigen Schülerinnen haben sich schnell ergeben: „Wer mit mir nicht zusammenarbeiten will, soll es lassen.“

Kompromißlosigkeit schafft Feinde. Hätten die Frauen bei der WM schlecht abgeschnitten, wäre der Schuldige schnell ausgemacht gewesen. Köhler, der altbackene. Köhler, der unbewegliche. Köhler, der nicht klar kommt mit dem Trubel im Westen. Aber sein Ensemble ist unter den besten acht der Welt, schon mal, und kommt – wer weiß – vielleicht gar noch weiter. Jedenfalls ist man viel besser plaziert als die Männer, die Kritiker sind ruhig, und Köhler sagt, daß er „mit dem Ergebnis ruhig schlafen kann“. So ist das im Sport: Nur am Resultat bemißt sich, ob ein Trainer alles falsch gemacht hat. Oder alles richtig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen