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Doppelte Staatsbürgerschaft

■ betr.: „Passive Zaungäste“ von Hakki Keskin, „Konservativ und manipuliert“ von Irina Wießner, taz vom 15.10.94

Hakki Keskin scheint Deutschland mit einer Art Discount-Ausgabe der Schweiz zu verwechseln. Während man dort nach einer Sicherheitsleistung von sFR 1 Million eine Aufenthaltsbewilligung erhält, sollen Ausländer hier schon die Staatsangehörigkeit bekommen, wenn sie ihr Scherflein zur Sozialversicherung entrichten, in deren Genuß sie natürlich auch kommen wollen. Ein Staat, in dem man sich das Heimatrecht erkaufen könnte, wäre schlichtweg korrupt. Zudem ist es im Gegensatz zu Herrn Keskins Auffassung so, daß über die Gesetze eines Landes die jeweilige Nation bestimmt und nicht eine Handvoll Zugereister. [...]

Die Vorbehalte von Irina Wießner gegenüber einer zu leichtfertigen Einbürgerung von Türken teile ich, und es ist beruhigend, daß jemand sie ausspricht, der eines so tiefen Mißtrauens wie dem meinen gegenüber dem türkischen Imperialismus unverdächtig ist. Es reicht mir schon, daß deutsche Reaktionäre den demokratischen und sozialen Rechtsstaat aushöhlen, da brauchen wir nicht noch Zugeständnisse gegenüber einer Minderheit zu machen, die Schützenhilfe aus dem reaktionärsten von allen Nato-Staaten erhält und ihre Ziele verhehlt. Ingrid Krenz, Hamburg

[...] 1. Frau Wießner spricht stets von den Türken. Die Türken gibt es nicht. Es gibt bei den Türken wie bei jedem anderen Volk Menschen verschiedenster Couleur mit verschiedenen Lebensauffassungen. Der eine ist laizistisch eingestellt, dem anderen sind Tradition und Islam sehr wichtig usw. Doch hier wird verallgemeinert. „Die Türken stehen voller Mißtrauen und vielfach voller Verachtung abseits von ihren deutschen Mitbürgern...“ Aufgrund meiner Kontakte mit Türken und Türkinnen, aufgrund meiner Kenntnis des Islam, aufgrund der Kenntnis der türkischen Traditionen, die eben zu einem guten Teil nichts mit dem Islam zu tun haben, kann ich obengenanntes Zitat als faschistisch und falsch bezeichnen.

2. Frau Wießner behauptet weiter: „Die geringschätzige Meinung, die ein äußerst großer Teil der türkischen Volksgruppe von ihrer deutschen Umgebung hat, resultiert einmal aus ihrer Herkunft und Erziehung, zum zweiten aber aus ihrem geringen oder gar nicht vorhandenen Bemühen, die Deutschen besser kennenzulernen.“ Wer will da wen nicht kennenlernen? In der Regel ist es doch so, daß viele Deutsche im wahrsten Sinne des Wortes Abstand halten zu Menschen aus anderen Ländern, zu Menschen anderer Hautfarbe. Ich hatte nie Schwierigkeiten, mit Türken in Kontakt zu kommen. Entweder nahm ich Kontakt mit ihnen auf, oder sie nahmen Kontakt mit mir auf.

3. Frau Wießner unterscheidet nicht zwischen Islam und Tradition, die oft vorislamisch ist. Sie wirft Islam und Tradition in einen Topf. Als Turkologin sollte sie wissen, daß man da genau differenzieren muß. Sie hat einen Artikel auf dem Niveau eines Rolf Stolz, Peter Scholl-Latour und Gerhard Konzelmann geschrieben. Ich habe keine Lust mehr, die weiteren Fehler und faschistoiden Verallgemeinerungen zu verbessern, aber es erstaunt mich, daß Ihr Euren gesunden Menschenverstand ausgeschaltet habt und diese Verallgemeinerungen wie „Türken stehen voller Mißtrauen...“, „Türkische Wähler mit doppelter Staatsbürgerschaft sind keine neutralen Wähler...“ zulaßt. Seit wann sind die Wahlberechtigten der BRD oder anderswo neutral? Ist etwa Frau Wießner als Wählerin neutral? Wo habt Ihr Euren gesunden Menschenverstand gelassen, daß Ihr solch faschistoide Äußerungen zuließet? [...] Brigitte Herdt, Arabistik- und

Islamwissenschaftsstudentin,

Königshofen

Am 1.10 durften sich die taz-LeserInnen mit dem Artikel von Dilek Zaptcioglu auseinandersetzen: ein wenig Verklärung des Heimatlandes, herrührend aus der Distanziertheit durch das Leben in Deutschland, ein wenig (typisch) türkischer Rassismus gegen Deutsche, eine Prise türkischer Nationalismus – als auch gegenüber meinem Volk kritische Türkin finde ich diese Mischung widerwärtig.

Wenn „der Deutsche“ – wer immer das sein mag – über „den Kurdenkonflikt oder die Folterpraktiken in der Türkei... in der Regel besser Bescheid weiß als die Türken“, kann ich „dem Deutschen“ dies angesichts der Situation in Kurdistan und der breiten türkischen Front des Schweigens nicht verübeln. Und auch daß es unvorstellbar ist, daß es „in Istanbul oder Riad sehr gute Universitäten gibt“, ist weniger Schuld der Deutschen: in Ländern, wo Intellektuelle die Gefängnisse füllen, wo Forschung und Lehre seitens des Staates kontrolliert werden und sich staatlichen Dogmen unterordnen müssen, kann es keine guten Universitäten geben.

Als Kontrastprogramm zum türkischen Rassismus gab es am 15.10. dann die deutsche Version: Irina Wießner plädiert gegen eine Doppelstaatsbürgerschaft, weil die türkische Minderheit zu kritiklos gegen das Herkunftsland und im allgemeinen reichlich reaktionär sei. Leider ist viel Richtiges in der Argumentation der Autorin – wie kritiklos und nationalistisch große Teile der türkischen Minderheit sein können, zeigt ja gerade der Artikel von Zapticioglu. Die Verallgemeinerung solcher Feststellungen ist allerdings eine schlichtweg rassistische Sichtweise. Außerdem – wenn die Deutschen betreffend Kurdistan so aufgeklärt sind, wie Wießner impliziert, dann frage ich mich, warum Deutschland immer noch Waffenhilfe an den türkischen Staat leistet.

Vor allem haben alle Argumentationen der Autorin, seien sie nun richtig, halbrichtig oder falsch, mit Wahlrecht oder Doppelstaatsbürgerschaft nichts zu tun. Ebensowenig, wie man deutschen Rechtsradikalen die Staatsbürgerschaft entziehen kann, kann (unterstellte) Rechtslastigkeit der türkischen Minderheit kein Argument sein. Auch wenn die taz mit dem Abdruck dieses Artikels provozieren wollte – eine vor-demokratische Argumentationsweise, in der auf abenteuerliche Weise versucht wird, Bürgerrechte und iedologische Auffassungen der Bürger miteinander zu verkoppeln, ist zu unernst, um provozieren zu können. [...] Ayșe Öktem, Hamburg

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