„Bedauerlich, wie dieser Fall gelaufen ist“

■ Verfahren wg. Verkehrsblockade am Pferdemarkt eingestellt – nach 3 Jahren

„Es gibt immer noch keine Vermenschlichung des Straßenverkehrs – und da werde ich wegen Nötigung vor Gericht gezogen.“ Bewegende Worte gestern im Saal 279 des Amtsgerichts. Auf der Anklagebank Katrin Jürgens, 35 Jahre, Hausfrau, zwei Kinder und Aktivistin der Ex-„Stresemann-Ini“. Hintergrund des Verfahrens: Katrin Jürgens hatte am 28. November 1991 an einer Blockade des Neuen Pferdemarktes teilgenommen und soll Autofahrer „genötigt“ haben.

Katrin Jürgens fühlt sich eigentlich wohl in ihrem Domizil an der Stresemannstraße – wenn nicht die täglichen Blechlawinen wären. „Viele Nachbarn träumen von der Flucht ins Umland.“ Jeder Weg werde zur Tortur, schildert die 35jährige: „Jede Kreuzung wird zur Zitterpartie. Ich geh' bei Grün los, Sie schaffen es aber nie bei Grün anzukommen.“

Das Auto werde zum Schutzwall vor dem Auto: „Kinder müssen überall hingefahren werden, weil der Fußweg zu gefährlich ist. Kinder haben nämlich keine Bremsen und keine Knautschzonen.“ Freie Entfaltung sei ein Tabu. „Wir dressieren unsere Kinder wie Zirkus-Tiere. Schon Zweijährige müssen an der Ampel parieren.“

Am 28. November 1991 mußte Katrin Jürgens ihrem Unmut Luft machen. Nachdem im Oktober Nicola S. vor ihrer Haustür von einem LKW getötet worden war, war an diesem Abend am Neuen Pferdemarkt wiederum ein kleiner Junge von einem Laster überrollt worden. „Ich wollte mit dieser spontanen Handlung der Sache eine andere Richtung geben. Wir können doch nicht unsere Toten von der Fahrbahn räumen und den Verkehr wieder fließen lassen.“

Die Staatsorgane sahen es anders. Die Polizei räumte, und die Justiz verpaßte Katrin Jürgens einen Strafbefehl von 600 Mark. Sie legte Widerspruch ein, es kam zu einem aufwendigen Prozeß, an dessen Ende ein „Freispruch“ stand. Auch Amtsrichterin Gudrun Stöhr war der Meinung, daß etwas gegen den Verkehrswahn unternommen werden müsse. Doch die Staatsanwaltschaft blieb hartnäckig und legte „Sprungrevision“ ein. Das Oberlandesgericht hob auch brav das Urteil auf, weil noch mehr „Aufklärungsbedarf“ bestehe.

Und so sah man sich nun gestern wieder. Doch nach den zahlreichen Verkehrstoten sieht man ihr Handeln wohl nun in einem anderen Licht. „Ich frag mich, ob das etwas für ein Gericht ist“, so Amtsrichter Bunning. Und auch der Staatsanwalt bedauerte, daß der „Fall so gelaufen ist, wie er gelaufen ist“. Nach 20 Minuten war alles vorbei und das Verfahren wegen „Geringfügigkeit“ auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Kai von Appen