: „Habe mich heut der Reaction verkauft“
■ Jutta Wachowiak und Otto Sander lesen Briefe des Ehepaares Fontane
„Egoistisch bin ich“, gesteht Theodor Fontane seiner Frau Emilie 1876 und beteuert umgehend: „aber nicht lieblos. Das ist ein großer, großer Unterschied.“ Eben das muß Emilie manchmal bezweifelt haben.
Anlaß dazu hatte sie genug. In jenem Jahr kündigte ihr Ehemann, der seine Romane erst noch schreiben sollte, die eben erst angenommene Stellung eines Sekretärs der „Akademie der Künste“: „Mir ist die Freiheit Nachtigall, den anderen Leuten das Gehalt.“ Sechs Jahre zuvor hatte er eine „nach außen hin leidlich aussehende, aber in ihrem Kern perfide Stellung“ bei der reaktionären Kreuzzeitung aufgegeben, in der er immerhin zehn Jahre augehalten hatte.
Seiner Frau teilte er diese Kündigung brieflich und erst drei Wochen später mit – exakt in der Mitte ihres Englandaufenthaltes. Wenn sie in drei Wochen zurückkehrt, so scheint der heroische Ehemann gedacht zu haben, wird sich ihr Gemüt schon wieder abgekühlt haben.
„Liebster Theodor“, repliziert Emilie spitz aus London, „Du wirst nicht erwarten, daß mich Dein gestriger Brief erfreut hat ...“ Dann wirft sie ihm Unfähigkeit vor, sich zu arrangieren. Beruflich, das zeige seine Kündigung, aber auch privat: „Sobald ich durch irgend etwas Dir unangenehm bin, sobald ich Dir entgegenstehe, sprichst Du von einer 20jährigen, unerträglichen Ehe.“ Eben diese Klagen Fontanes prägen das Bild, das wir heute von seiner Frau haben: eine kleinbürgerliche Xanthippe, ewig nörgelnd und dazu kränkelnd.
Zur Ehrenrettung Emilies ist nun der Fontane-Herausgeber Gotthard Erler angetreten. Er hat nicht nur die größtenteils vorliegenden Schreiben des „innigst geliebten Mannes“, sondern auch die 180, mit wenigen Ausnahmen bisher nicht publizierten Briefe seiner „lieben, armen Herzensfrau“ gelesen und in ihnen eine liebenswürdige Persönlichkeit entdeckt. Auf einer Lesung aus dem Ehebriefwechsel in der Akademie der Künste, deren Sekretär Theodor damals nicht lange sein wollte, soll Emilie nun Gerechtigkeit wiederfahren.
Theodor Fontane, empfindlich gegenüber jeglicher Kritik, hielt die Bemerkungen Emilies über seine Kündigung bei der Kreuzzeitung für völlig unangebracht. Zwar habe er einen Hang zur Freiheit, doch stehe dieser „unter Controlle meines Urtheils und Verstandes“. Ihn leite ein „ruhiger Calcül“ – und damit bricht der Brief plötzlich ab.
Doch Emilie ließ sich von ihrem eloquenten, oft witzigen und auch ein wenig selbstgerechten Ehemann nicht den Mund verbieten. „Ich würde kein Wort mehr gesagt haben, wenn nicht zwischen jeder Deiner Zeilen ein mir ungerecht erscheinender Vorwurf stünde; nach meinem Urteil wäre es nicht nur leichtsinnig, sondern auch lieblos gerade gegen Dich gewesen, wenn ich hätte sagen können: Du hast ganz recht gehandelt.“
Die gegensätzlichen Positionen blieben bestehen, und die Liebenden hatten öfter Gelegenheit, sie aufs neue zu bekräftigen. Weil Geld stets knapp war bei Fontanes, drang Emilie auf die Sicherheit einer festen Anstellung. Sie aber war offensichtlich nur in den Diensten der Reaktion zu finden, was ihr republikanischer Ehemann meist nicht lange ertrug.
Mit „Geldcalamitäten“ hatte es schon angefangen. 1845 verlobten sie sich, doch dabei mußte es ohne Geld zunächst bleiben. Um Emilie schließlich heiraten zu können, verdingte sich der Apothekersohn mit literarischen Interessen nach der niedergeschlagenen bürgerlichen Revolution im „Literarischen Kabinett“. Insgesamt fünf Jahre arbeitete Fontane in dieser Zensur- und Manipulationsbehörde Preußens, aus der er immer wieder auszubrechen versuchte. Als er 1851 zum zweiten Mal in das Kabinett eintreten mußte, klagte der Republikaner: „Ich habe mich heut der Reaction für monatlich 30 Silberlinge verkauft.“
Die nächste Kündigung aus Selbstachtung war damit schon avisiert. „Sicherheit 'is nich'“, beschied Theodor seiner Emilie dann 1870. Ihre Lage war wenig beneidenswert. Zu der finanziellen Misere kam die Einsamkeit. Während ihr „Herzensmann“ in den Fünfzigern mehrere Jahre in England arbeitete, war die junge Frau mit dem ersten Kind in Preußen ohne eigene Wohnung und mußte sich von Verwandten demütigen lassen. Allein war sie auch, als das zweite Kind kurz nach der Geburt starb.
Vielleicht waren es diese Erfahrungen, die sie dem geliebten und leicht gereizten Mann gegenüber oft ruhige Eigenständigkeit wahren ließen: „Leider muß ich Dir, geliebtes Herz, das eine bekennen, daß ich trotz Ringen und Beten mich mehr in unsere Lage ergebe als hoffe, und es ist doch ehrlicher, ich bekenne Dir das als heuchele Zutrauen, wo ich es nicht habe ...“
Der Widerspruch als Liebesbeweis – die „Mäkeleien“ dieser Hausmutter nehmen sich recht raffiniert aus. Fontane war es denn auch recht, 42 Jahre lang bis zu seinem Tod. Jörg Plath
Die Lesung findet morgen, 11 Uhr, in der Akademie der Künste, Hanseatenweg, Tiergarten statt.
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