: Kündigung bei schlechtem Wetter
■ Nur noch in wenigen Branchen gibt es Saisonarbeiter / Bringt der Wegfall des Schlechtwettergeldes eine Renaissance der Saisonkräfte auf dem Bau?
Reeder Bernd Lettker kann sich noch gut an die Zeiten erinnern, als auf freien Gewässern der „Winterstand“ ausgesprochen wurde, Schiffsführer ihr Gewerbe kurzfristig abmeldeten und samt ihren Bootsmännern für drei Monate Arbeitslosengeld bezogen. Doch diese Zeiten sind längst Geschichte. Wesentlich mildere Winter sowie die Kühlwassereinleitung von Kraftwerken machen Flüsse und Kanäle fast das ganze Jahr über befahrbar.
Die elf Berliner Kraftwerke leiteten 1992 über eine Million Liter Kühlwasser in die Spree, den Spandauer Schiffahrtskanal, die Havel und den Teltowkanal ein. Die Folge: die Wassertemperatur der Havel beispielsweise stieg um sechs Grad. Sollten die Flüsse doch einmal zufrieren, müssen Kapitäne, Maschinisten und Bootsmänner dennoch nicht zum Arbeitsamt. Dann nämlich werden Reparaturen an den 850 PS starken Tankmotorschiffen der Kommanditgesellschaft Dettmer GmbH & Co ausgeführt, wo Lettke seit über zehn Jahren arbeitet.
Mittlerweile gibt es nur noch wenige Branchen, in denen Saisonkräfte beschäftigt werden: im Hotel- und Gaststättenwesen, der Land- und Forstwirtschaft, im Schaustellergewerbe und auf dem Bau. Genaue Angaben darüber gibt es jedoch nicht, da die Statistiken des Landesarbeitsamtes (LAA) saisonale Beschäftigungen nicht extra aufführen, so die Pressesprecherin des LAA Berlin/ Brandenburg, Melanie Nassauer.
Über ausländische Saisonarbeiter jedoch liegen exakte Zahlen vor. Nach Angaben von Klaus Schultes, Leiter der Vermittlungsstelle für kurzzeitgebundene Beschäftigung der Zentralen Arbeitsvermittlung in Frankfurt, wurden im letzten Jahr genau 822 osteuropäische Saisonarbeiter in Berlin beschäftigt. Seit September letzten Jahres dürfen diese jedoch nicht mehr im Baubereich tätig sein. Ziel dieser Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit war und ist es, das Preisdumping vieler osteuropäischer Baufirmen zu unterbinden. Aufgrund dieser Regelung ging die Anforderung von osteuropäischen Saisonarbeitern in Berlin denn auch auf 54 in den ersten acht Monaten dieses Jahres zurück. Dennoch ist das Resümee, das Klaus Schultes nach einem Jahr zieht, negativ. Nach wie vor unterböten osteuropäische Firmen das hiesige Lohnniveau. Schultes: „Ein Schlag ins Wasser.“
Eine generelle Zunahme der Saisonarbeit im Baugewerbe befürchtet Klaus Schröder vom Bezirksverband Südwest der Industriegewerkschaft Bau - Steine - Erden mit dem Wegfall des Schlechtwettergeldes ab 1. Januar 1996. Dann nämlich ende das Arbeitsverhältnis mit der schlechten Witterung, der Arbeitgeber könne wieder kündigen. Für die Arbeitnehmer sei das „eine Rückkehr ins Mittelalter“. Auch wenn die letzten Winter relativ mild waren, so Schröder weiter, müsse man mit „knallharten“ Witterungen rechnen, und das sei dann eine „Tragödie“. Im letzten Jahr wurden nach Angaben der Pressestelle des Arbeitsamtes 58 Millionen Mark Schlechtwettergeld in der Region Berlin/Brandenburg gezahlt.
„Wenn man will, kann man Bauvorhaben auch bei Witterungen durchführen, die das früher nicht zugelassen haben“, ist der Pressesprecher des Bundesvorstandes der IG Bau - Steine - Erden, Werner Köhler, überzeugt. Aber dafür müßten die Arbeitgeber Geld für geeignete Maschinen ausgeben, und oftmals seien sie dazu nicht bereit. In den 70er Jahren habe es bereits einen Vorstoß in diese Richtung gegeben, erinnert sich Köhler. Damals wurden den Bauunternehmern Zuschüsse für den Kauf moderner Geräte gezahlt. Diese seien aber gestrichen worden, da die Unternehmen wenig Interesse gezeigt und diese Gelder auch zweckentfremdet hätten. So gebe es im Hoch,- Roh- und Straßenbau nach wie vor witterungsbedingte Pausen.
Saison hin oder her, die Reederei Dettmer wird ihre Flotte bis zur letzten Minute aufs Wasser schicken. Erst bei zwanzig bis dreißig Zentimeter dickem Eis werde es eng, so Lettker. „Aber das Risiko gehen wir ein.“ Denn wenn die Schiffe im Jahre fünf nach der Wende irgendwo in Brandenburg im dicken Eis liegenbleiben sollten, müssen nicht mehr, wie zu DDR-Zeiten, die Mannschaft von Bord gebracht und Wachen aufgestellt werden. Barbara Bollwahn
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