: Mit dem Flugzeug in die Steinzeit
■ Die Diashow eines passionierten Globetrotters
Siegfried begrüßt lautstark und leutselig die zahlreich im Audimax der TU erschienenen ZuhörerInnen zum Vortrag „Neuguinea – Zu Fuß durch die Steinzeit“ und erläutert das Marketing-Konzept des Veranstalters: Terra Topia ist im Bereich der Diavorträge, was der Name Braun für Elektrogeräte. Welche Freude also, daß wir den Gründer, Chef und Globetrotter der Firma, Dirk Bleyer, heute abend persönlich erleben dürfen. Anderthalb Jahre weilte er in fernen Landen, davon jedoch, wie sich im nachhinein erschließen läßt, allerhöchstens vier Wochen in Neuguinea. Denn es ist gar nicht so leicht, in nützlicher Frist in die Steinzeit zu gelangen: Da müssen mit gefälschten Presseausweisen Fahrkarten für ausgebuchte Bahn- und Schiffsreisen ergaunert werden, und beinahe hätte man wegen Weihnachten das Flugzeug verpaßt.
Wie, Weihnachten im Mai? Gemeint ist das Ende des Ramadan, denn die Indonesier sind Muselmanen! Da es am Zielort keine Banken gibt, muß man sich rechtzeitig mit dem nötigen Kleingeld versorgen, und das Dia zeigt den Schweizer Reisekumpan vor einem Riesenhaufen Geld als Rupiahmillionär.
Endlich bricht man nach Irian Jaya, dem von Indonesien annektierten Teil der Insel Neuguinea, auf. Von Jayapura geht es mit dem Flugzeug direkt in die Steinzeit, oder sollten wir besser Betonzeit sagen, denn die Maschine landet auf dem tadellos asphaltierten Flugfeld von Wamena im Baliemtal, der Heimat der Dani. Zwei immerhin mehrtägige Fußwanderungen bringen die Fotokamera dem näher, was sich zu Hause als Exotik verkaufen läßt. Da wird Penisköcher um Penisköcher abgelichtet, hinter denen sich namenlose Individuen verbergen, und natürlich dürfen auch die geräucherten Mumien der Großväter nicht fehlen. Wenn jemand stirbt, hacken sich die nahen Verwandten einen Finger ab, und mannsgroß bestaunen wir die verstümmelte Hand auf der Leinwand.
Doch durch einen Kunstgriff, der sich schon bei Montaigne findet, wird das Schaudern, das die ZuhörerInnen ob der grauslichen Bräuche der angeblichen Steinzeitmenschen befällt, in eine erbarmungslose Kritik europäischer Altersheime umgemünzt. Der Vortragende, dem nebenbei ein Rhetorikkurs dringend anempfohlen sei, hat alle seine Finger behalten. Er lobt eindringlich die Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Dani, während er selbst durch eine List dafür sorgte, den mitgebrachten Proviant seiner Geschmacksrichtung mit niemandem teilen zu müssen.
Der Vortrag hat was von Grzimek, aber wo sind die wilden Tiere? Sollten sie vor dem mitteleuropäischen Trampel, der mit dem Flugzeug in den Urwald einbrach, in Deckung gegangen sein? Weit gefehlt, es können keine Tierbilder gezeigt werden, weil die Dani, die seit 20.000 Jahren davon leben, sie mittlerweile alle verspeist haben.
Reisen bildet, so sagt man, aber je länger ich darüber nachdenke, desto mehr frage ich mich: wen? Wenn Nachbars ihre Urlaubsbilder zeigen, kostet das keine 18 Mark. Es gibt einen Ort in der Welt, den Dirk Bleyer noch nicht besucht hat, und das ist der weiße Fleck in seiner Seele, an dem andere Leute ihr Schamgefühl haben. Die Firma hat weitere Veranstaltungen dieser Art angedroht. Robin Cackett
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