Vorwärts bis zur Drina

■ Bosnische Armee setzt ihre Offensive fort / Medien sehen militärische Wende

Wien (taz) – Nach der Eroberung der Grabaz-Hochebene bei Bihać setzte die bosnische Armee gestern ihre Offensive gegen serbische Stellungen fort. Nach Angaben der UNO wichen serbische Soldaten gleich an drei Frontabschnitten vor den Bosniern zurück: In der nordwestbosnischen Region bei Bihać, entlang des Ozenmassivs in Zentralbosnien und in der herzegowinischen Stadt Kupres. Die Zeitungen Sarajevos feierten die neuen Landgewinne als „militärische Wende“, durch die das Ziel eines souveränen Bosniens bis an die bosnisch-serbische Grenze an der Drina in greifbare Nähe gerückt sei.

Der Vormarsch der bosnischen Armee könnte eine neue brisante

Entwicklung in dem dreißig Monate dauernden Krieg nach sich ziehen. Militärexperten in Sarajevo gehen davon aus, daß die bosnischen Serben in den kommenden Monaten die mittlerweile über 2.000 Kilometer lange Front aus eigener Kraft nicht mehr halten können. Bereits jetzt sollen 15.000 serbische Zivilisten auf der Flucht sein. Der militärische Alleingang der Muslime verstößt nicht nur gegen den Genfer Friedensplan, der eine generelle Waffenruhe vorsieht, er untergräbt auch die im Mai in Washington beschlossene kroatisch-muslimische Konföderation. In diesem Vertrag verpflichten sich die Regierungen in Zagreb und in Sarajevo, ihre Streitkräfte unter ein gemeinsames Kommando zu stellen und nur in Absprache mit dem Partner die Verteidigungslinien zu sichern. Die militärischen Gewinne der letzten Tage erfolgten jedoch ohne Unterstützung Zagrebs, die kroatischen Kommandeure wurden von der bosnisch Armeeführung nicht einmal von der bevorstehenden Offensive unterrichtet.

Andererseits behaupten die Genfer Jugoslawien-Unterhändler Owen und Stoltenberg, daß das serbische Regime unter Präsident Slobodan Milošević die bosnischen Serben seit etwa zwei Monaten militärisch nicht mehr unterstützt. Daß nun die derzeitige Schwäche der bosnischen Serben von den Muslimen mit einer neuen Herbstoffensive ausgenutzt wird, bringt die UNO, aber auch Milosěvić in Bedrängnis. Tatenlos kann weder die internationale Staatengemeinschaft noch Belgrad der neuen Entwicklung zusehen. Der Uno- Oberbefehlshaber für Bosnien, Sir Michael Rose, zeigt immer offener Sympathien für die bosnisch-serbische Seite, spricht vom „gerechten Anliegen des serbischen Volkes“ und meint damit den Anschluß besetzter bosnischer Territorien an Serbien. Karl Gersuny