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Vorstadtzicke im Cola-Rausch

■ CCH: Diana Ross und die Schwierigkeit in Würde zu altern

Preisfrage: Hat Diana Ross den Charme einer kicherigen Vorstadtzicke im Cola-Rausch oder nicht? Nach ihrem Konzert am Samstag im CCH ist man geneigt, die Frage mit „Ja“ zu beantworten. Nach 30 Jahren im Geschäft versucht sie es immer noch mit koketten Augenaufschlägen, aufgedrehtem Giggern und gleich einer ganzen Reihe teilweise dezent geschlitzter, sogenannter aufregender Kleider. Zwischendurch schlug sie auch noch die voll sympathische Masche an. Es scheint halt immer schwieriger zu werden, im Showgeschäft in Würde zu altern.

Was das Konzert anging: Da gab es einige Überraschungen. Nicht zu fassen zum Beispiel, was man für Müll im Kopf hat. „You Can't Hurry Love“, „Upside Down (You Turn Me)“, „Where Did Our Love Go“ – in der ersten Hälfte kannte man völlig unfreiwillig jedes Lied.

Überraschend auch der breiige Sound, der genauso wie die Stücke weit in die Vergangenheit zurückführte. Er klang trotz den Errungenschaften der digitalen Tontechnik in etwa so wie ein erster Kassettenrekorder.

Angesichts dessen vollends überraschend schließlich die Reaktion des Publikums: Es ging dankbar mit, immer wenn einer der elf Begleitmusiker das Signal gab, klatschte es beschwingt in die Hände, ansonsten wurde enthemmt mit dem Kopf gewippt.

Es hat sich aber trotzdem gelohnt, diese Plastik-Glitzer-Wunderwelt anschaulich mitzuerleben. Jetzt weiß man jedenfalls wieder, wie wenig lebendig so eine profimäßig arrangierte Live-Show ist! Wie wenig authentisch diese Au-thentizität! Man hatte das alles schon zigmal gesehen, und sei es im Fernseher. Das Bühnenbild etwa hätte glatt dem Hirn eines öffentlich-rechtlichen Unterhalt-ungsmenschen entsprungen sein können.

Nun gut, ein Konzert von Diana Ross im CCH ist nicht der Ort, an dem wirklich etwas los ist. Das war vorher klar. Es ist aber doch andererseits eine kleine Merkwürdigkeit für sich, wie wenig an so einem Abend tatsächlich passieren kann.

Ob die Leute, die in den ersten Reihen 150 Mark Eintritt zahlten, sich wirklich so gut amüsierten, wie sie taten? Man stelle sich vor: Die finden das in Wirklichkeit auch gar nicht gut. Dann hätten die ja gar nichts gehabt für ihr sauer der Steuer hinterzogenes Geld!

Bevor das passiert, lassen die sich bestimmt nichts anmerken von dem dumpfen Unbehagen, welches sie tief in den ehrlichen Winkeln ihrer Seelen quält. Dann können sie jedenfalls am nächsten Tag auf dem Golfplatz per Handy damit angeben, etwas erlebt zu haben.

In einem anderen Saal des CCH fand übrigens die 77. Jahrestagung der Nordwestdeutschen Vereinigung der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte statt. Auf einem der Plakate wurde ein Vortrag über das Thema „Hörsturz“ angekündigt, und da konnte der Autor einen gewissen Neid nicht unterdrücken.

Dirk Knipphals

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