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Rastlos tritt man auf der Stelle

Bei den deutschen Meisterschaften der Amateurboxer offenbart sich die heitere Art des Verbandes DABV, seine geistige Provinz zu zelebrieren  ■ Aus Berlin Peter Unfried

Tief in den Katakomben, dort wo die Boxer nach dem Umziehen einen langen Weg zum Ring zu gehen hatten, da war auch eine Tür mit der Aufschrift MASKE. Hah, das lockte, und also hatte irgend jemand das naheliegende getan und mit Kreide druntergeschrieben: Henry. Gesehen hat den Profiweltmeister aus dem nahen Frankfurt allerdings keiner in der Deutschlandhalle. Ob der Werbeträger Nummer eins mit dem garantiert deutsch-deutschen Superimage überhaupt eingeladen war, der tristen Veranstaltung ein wenig Glanz zu verleihen? „Ich weiß es nicht“, sagte Kurt Maurath, Präsident des Deutschen Amateur- Boxverbandes (DABV), „ich habe mir sagen lassen, ja.“ Daß Maskes Trainer Manfred Wolke sich am Freitag hatte sehen lassen, war dem Präsidenten jedenfalls entgangen, obwohl er glaubhaft versichern kann, er „unterhalte sich mit jedem“, weil der honorigen Meinung, „daß man grundsätzlich mit Menschen reden sollte“.

Nun, genau das aber mögen die gesetzten Herren im DABV-Vorstand nicht einsehen und haben pikiert und in völliger Verkennung der Situation den Dialog mit den Profis abgebrochen. „Diese Leute“, sagt Manfred Wolke, „tun mir leid.“ Man müsse, so findet der Olympiasieger von Mexiko, „begreifen, daß es eine völlig andere Entwicklung gegeben hat“. Schön gesagt, wie auch das nächste: „Das mußten wir damals in der DDR auch.“

Also: Die Machtverhältnisse sind nun umgekehrt, die einst ausgeknockten Profis ernten Geld, Medienaufmerksamkeit und Ruhm, den Amateuren könnte bald das letzte Ringglöcklein schlagen. 2.500 Zuschauer wollte DABV-Pressesprecher Alexander Mazur am finalen Samstag in der Halle gesehen haben, die Hälfte käme wohl eher hin. In den Tagen zuvor waren gar Athleten und deren engerer Umkreis unter sich. Das drückte auf die Stimmung, die nicht nur der Leichtgewichtsmeister Marco Rudolph „ein bißchen traurig“ fand. Daß dieses öffentliche Desinteresse Widerhall der maladen Situation der Branche ist, haben selbst die autarken Boxfunktionäre mittlerweile mitkriegen müssen, nicht alle aber, daß ihre bewährte Methode des Aussitzens diesmal das Aus bedeuten könnte.

Während Vizepräsident Heinz Birkle weiter trotzig meint, es reiche, den Boxern den Kopfschutz wieder wegzunehmen, um die blutgierenden Massen zu locken, hat der Sportwart Forschbach ein Papier rumgehen lassen, in dem für „offene Meisterschaften“ plädiert, in denen lizenzierte Spitzenamateure analog zu den Profis Titel verteidigen oder den Herausforderer geben. Daran soll angeblich gar ein Fernsehsender bereits Interesse vermeldet haben.

Außerdem will Forschbach das Wort „Amateur“ streichen lassen, weil es imageschädigend ausgelegt werden könnte. Wer will im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert, auf dem Höhepunkt der warenorientierten Gesellschaft, in der allein die Professionellsten bestehen, Amateur geschimpft werden? Dabei sind die Herren andererseits gerade auf ihr moralisch einwandfreies sportliches Tun stolz wie der Papst auf Marias Jungfernhäutchen. Jedenfalls, sagt Kurt Maurath, man werde „eine Kommission einsetzen“, die „darüber nachdenkt, wie man das verändern kann.“

Alles braucht seine Zeit in einem Verband, den selbst sein Präsident „Altherrenriege“ nennt. Der ist immerhin auch schon 70, pensionierter Schulrektor aus dem Schwarzwald, doch er hat die Kraft zweier Herzen: Tagelang ist der freundliche Herr durch die Halle gewieselt, ohne sich eine Pause zu gönnen, immer auf der Suche nach Dialog mit den Alten. Das ist alles, was bleibt, denn Verjüngung ist nicht in Sicht. Einst hat Maurath das westdeutsche Amateurboxvorbild Peter Hussing zum Mitmischen überreden wollen: Das war „nix“. Es sind, sagt Maurath, „wenige Boxer, die nach ihrer Laufbahn dabeibleiben wollen“.

Und möglicherweise bald immer weniger, die das währenddessen tun möchten. Dort sieht man im Windschatten Maskes plötzlich auch andere Boxer reich und berühmt werden, hier hat es der DABV mit Mühe geschafft, „den Leuten eine Existenz zu bieten“, (Maurath), die sie ihr einstiges Ost- Niveau zwar nicht halten läßt, mit der sie aber dennoch international mithalten können, weil sich gleichzeitig auch das Niveau an der Weltspitze gesenkt hat.

Daß die Titelkämpfe, wie der Präsidenten des württembergischen Verbandes, Max Lohmiller, meinte, „Ostmeisterschaften“ waren? Der hatte wenigstens noch einen Meister zu verbuchen, der Rest kam aus Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen-Anhalt und (hauptsächlich Ost-)Berlin. Da sind noch jede Menge DDR- Olympiasieger und Medaillengewinner darunter, die irgendwann demnächst auch ihre letzte Runde geboxt haben werden. Wurde das Erbe gut verwaltet? „Ich bilde es mir ein“, sagt Präsident Maurath. Manfred Wolke indessen glaubt, daß „viele Dinge gemacht wurden, die leistungsmindernd sind“. Aber, sagt darauf wieder Maurath: „Wer bei den Profis nicht gut ist, wird entlassen.“ Und beim DABV? Kriegt er eine Ehrennadel. Der Verband, das spricht aus allen Taten und selbst aus den offenen Worten seines Chefs, lebt heiter seine geistige Provinz in vollen Zügen aus. Und will sich nicht unter unmenschlichen Erfolgszwang setzen und von unreflektiertem, sich selbst genügendem Streben nach Gold und Ruhm blenden lassen.

Daß demnächst, nämlich im Mai 1995, in Berlin die Weltmeisterschaft stattfindet und man gerade rechte Antiwerbung betrieben hat? Henry Maske könnte kommen und ein bißchen Glanz abgeben. Doch hat man das nötig? Der Präsident Maurath weiß, daß der Olympiasieger von Seoul helfen würde, und er will ihn. „Soll man ihn bestrafen, weil er jetzt etwas anderes macht?“ Das ist für den stockkonservativen DABV bereits fortschrittlich. „Die Sache“, sagt er „ist angedacht“.

Allerdings: Maske selbst weiß noch nichts davon, und dann gibt es noch den Weltverband AIBA, in jeder Hinsicht der große Bruder des DABV: Rechtlich gesehen ist die WM-Auslosung, bei der Maske mediale Schubkraft entfalten könnte, deren Angelegenheit. „Das ist ein Problem“, sagt Maurath, „weil da Leute dabei sind, die glauben, sich profilieren zu müssen. Da“, sagt er und spricht aus Erfahrung, „kann man nichts dagegen machen.“ Dann wischt er sich mit seinem Schwarzwaldtüchlein wieder einmal den Schweiß von der Stirn und eilt von dannen. Ist das nicht wieder einmal eine bestechende Metaphorik? Der Präsident rennt rastlos um den Ring und kommt doch niemals von der Stelle.

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