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Und schon geht es ab in den Knast

Räuber und Gendarmen vermiesen zwei schwarzen Deutschen ihre Urlaubsreise in Florida / Prügel, Handschellen, zwei Verhaftungen und ein Führerschein, an dem nichts zu beanstanden ist  ■ Ein Reisebericht von Thorsten Preuß

Wahrscheinlich wäre das alles nicht passiert, wenn die beiden so aussehen würden wie die meisten Deutschen, die die USA bereisen: weiß. Jan Priebke lächelt müde: „Sicher wäre es nicht passiert.“ Er ist 25 Jahre alt, in Leipzig geboren, wohnt heute in München und ist Deutscher mit Handikap: Seine Hautfarbe ist schwarz. Das verbindet ihn mit seinem gleichaltrigen Freund, dem Münchner Michael Unbehauen.

Als die zwei am frühen Abend des 20. August 1994 in ihrem gemieteten Plymouth den Biscane Boulevard von Miami hinunterfahren, trägt ein warmer Wind HipHop-Rhythmen aus Ghettoblastern in den Wagen und trocknet die letzten Tropfen Atlantikwasser in ihren Haaren. Die Düfte aus den Läden entlang der Mainstreet machen Appetit auf das, was dem Nachmittag am Beach nun folgen soll: ein geiles Essen, ein bißchen tanzen, Night-Live. Nichts, was ihnen die Laune verderben könnte, ist in Sicht. Und doch hätten sie vorsichtig sein müssen, als sie auf den Parkplatz am unteren Ende des „Biscane Boulevards“ einbogen.

Drei Tage vorher übernachteten die beiden in Santa Rosa, Nordflorida in ihrem Auto. Als der dortige Sheriff sie am Morgen im Wagen fand, war er bedient, weil es regnete und er draußen stand. Da aber gehörten nach seiner Meinung die beiden Schwarzen hin. Mit dem Colt in der Hand ließ er die beiden „Motherfucker“ aussteigen. Der Vorfall endete glimpflich, ähnlich wie der, der sich am nächsten Tag auf einem Parkplatz in der Stadt Tampa ereignete: „Drei Jugendliche kamen aus dem Nichts, kreisten uns ein, der Größte zog einen Revolver, hielt ihn Jan von hinten an den Hals, die anderen beiden nahmen uns die Brieftaschen, den Fotoapparat, eine Lederweste und Bargeld ab. Nach zwei Minuten war alles vorbei“, erinnert sich Michael. Auf ihre Anzeige reagierten die Polizisten auf der Wache mit mildem Kopfnicken. Ein Raubüberfall „unter Schwarzen“ war für sie so aufregend wie ein Fahrraddiebstahl.

Die letzten beiden Tage aber war nichts passiert. Priebke und Unbehauen steigen aus ihrem Wagen. Nur – der Parkplatz ist privat und somit nicht für jeden, schon gar nicht jeden Schwarzen, zu benutzen. Als die Wärter merken, daß die beiden zwar schwarz, aber deutsch sind, schlagen sie einen Kompromiß vor: „Fünf Dollar, und ihr könnt hier stehenbleiben.“

„Gebühr bezahlt, Problem gelöst“, denken beide und laufen direkt dem Officer Roy Brown in die Arme. Zwei gutgekleidete schwarze Jugendliche mit einem schnieken Wagen mit New Yorker Kennzeichen auf einem privaten Parkplatz in seinem Bezirk – der Samstag abend scheint gerettet. Lautstark verlangt er den Führerschein. Jan Priebkes „Ost-Englisch“ reicht nicht aus, um den amtlichen Ausführungen zu folgen: „Ich habe eigentlich nur die Schimpfwörter verstanden“, erinnert er sich. Sein „West- Englisch“ ermöglicht es Michael, auch den Rest zu verstehen. Zum Beispiel, daß es dem Officer scheißegal ist, daß sie Deutsche sind. Den Führerschein erklärt er kurzerhand für ungültig. Priebke: „Er nimmt ihn, dreht ihn einmal und sagt, das Ding sei wertloser Bullshit. Seine Begründung: Hier ist Amerika, nicht Deutschland.“

Schon etwas eingeschüchtert, versuchen beide zu argumentieren: „Erstens wurde uns der internationale Führerschein bei einem Raubüberfall in Tampa gestohlen, zweitens ist doch in Florida auch jeder ausländische Führerschein 30 Tage gültig.“ Zwei Schwarze, die zu widersprechen wagen, müssen noch viel lernen bei Officer Brown. Unter weiterer Benutzung aller gängigen amerikanischen Schimpfwörter befiehlt er, das Auto auf die Straße zu fahren. Ziemlich aufgeregt rangiert Jan Priebke den großen Wagen auf dem zugestellten Parkplatz. Beim Bremsen quietschen die Reifen. Für Officer Brown das Signal zum Angriff.

Jan Priebke: „Er reißt die Tür auf, packt mich am Arm, zieht mich raus, schmeißt mich auf den Bürgersteig, dreht mir die Hände auf den Rücken und legt mir Handschellen an. Dann verschwindet er in unserem Auto, fährt es ganz auf die Straße, kommt zurück und schreit mich an: Wenn du dich auch nur einen Millimeter bewegst, schieß ich dich über den Haufen. Zu Michael sagt er: Jetzt bekommt dein Kumpel eine Lektion von mir. Heute nacht sitzt er mit seinem Arsch im Knast.“

Danach tätigt Officer Brown zwei Anrufe. Mit dem einen holt er Verstärkung, mit dem anderen zwei Exilkubaner und ihren Abschleppwagen. Die nehmen den Plymouth mit, nicht ohne bekanntzugeben, daß alles, was im Wagen ist, nur an den Besitzer des Autos geht. Der aber ist die Mietwagenfirma „Dollar“, und die sitzt in New York.

Für Jan Priebke bedeutet das, ohne Papiere, Kreditkarten, Bargeld, Telefonnummern und Englischkenntnisse an einen Ort gebracht zu werden, den er nur aus Hollywoodfilmen kennt: ein amerikanisches Gefängnis. Es ist Punkt 21 Uhr an diesem Abend, als er im Fond eines Streifenwagens der „Miami State Police“ am „ICDC Miami Dade County Jail“ eintrifft. Er blickt aus dem Fenster, sieht Wachtürme unterm Sternenhimmel, Mauern, Stacheldraht und das Tor. „Ich dachte nur“, erinnert er sich, „wenn dich hier einer anmacht, dann mußt du den sofort umhauen. Auf keinen Fall dürfen die denken, sie könnten mit mir machen, was sie wollen.“

Im wandernden Kegel der Suchscheinwerfer sieht Jan Priebke auf dem abgetretenen Rasen im Gefängnishof Hanteln und Gewichte liegen, daneben einen Basketballkäfig. Michael Unbehauen wird zu dieser Zeit in das „Miami County Jail“ gebracht. Officer Brown hat zuvor auf die drängenden Fragen des Deutschen nach dem Verbleib seines Freundes mit dem Gummiknüppel geantwortet, ihn zu Boden gedrückt, ihm Handschellen angelegt und ihn mitgenommen. Jetzt sitzt Michael hier, und niemand kümmert sich um ihn.

Um Jan Priebke schon. Er wird fotografiert, es werden Fingerabdrücke genommen, und dann wird ihm eine Matratze auf dem Boden in einer Zehn-Mann-Zelle zugewiesen, die mit zwanzig belegt ist. Dabei ist es noch früh. Die meisten kommen erst noch.

Nachdem die erste Aufregung über den schwarzen Deutschen in der Zelle den üblichen Streitereien gewichen ist, denkt Jan Priebke zwischen Bankräubern, Drogendealern und Zuhältern über das englische Wort für Mißverständnis nach. Am nächsten Morgen soll Verhandlung sein. Es geht um „rücksichtsloses Fahren“, „Fahren ohne Führerschein“ und „Behinderung von Polizeibeamten“. Michael Unbehauen wird gegen drei Uhr in dieser Nacht auf die Straße gesetzt und schlägt sich ohne Geld zu seinen Bekannten in Ford Lauderdale durch. Am nächsten Morgen, dem 21. August, ruft er das deutsche Konsulat in Miami an. Es meldet sich ein Anrufbeantworter mit der Aufforderung, Name und Nummer zu hinterlassen. Das Band werde täglich abgehört, das Konsulat werde sich melden. Michael Unbehauen fällt darauf rein.

Jan Priebke fährt zu dieser Zeit im Fond eines Gefängniswagens, zusammengekettet mit fünf anderen Häftlingen, die sich gegenseitig ihre Schußverletzungen zeigen, zum Justizgebäude. Die Verhandlung beginnt um zehn Uhr. Ein Knopfdruck genügt, und der Richter ist da: auf Videoschirm. Dolmetscher gibt es zwar, aber keinen, der Deutsch spricht. Jan Priebke, dem das englische Wort für Mißverständnis inzwischen eingefallen ist, setzt zu einer Erklärung an, da fällt der Richter schon die Entscheidung: Die Kaution für seine Freilassung wird von 10.000 Dollar auf 1.000 Dollar herabgesetzt, zahlbar sofort. Jan schildert seine Lage: „Ich habe kein Geld, keine Kreditkarten, ich habe nicht einmal eine Telefonnummer, um jemanden um Hilfe zu bitten.“ Der Richter versteht, nickt und sagt: „See you tomorrow.“ Dann verschwindet er per Knopfdruck. Zurück im „ICDC Miami Dade County Jail“, verbringt Jan Priebke mit 40 anderen Häftlingen, einem laufenden Fernseher, Licht aus Neonröhren und der unaufhörlich Kälte blasenden Air- condition die zweite Nacht in seiner Zelle.

Erst am Montag morgen, dem 22. August, hat Michael Unbehauen eine Angestellte des deutschen Konsulats in Florida an der Strippe. Er erzählt von seinem Freund im Gefängnis, wie es dazu kam, und fragt, warum niemand zurückgerufen habe. „Das machen wir nur in Notfällen“, ist die Antwort. Seinen Einwand, es handle sich um einen solchen, kontert die Frau kühl: „In zwei Tagen ist Ihr Freund bestimmt draußen. Das ist hier nämlich ein Rechtsstaat.“ Sie bietet Michael Nummern von Rechtsanwälten an. Kosten pro Stunde: zwischen 150 und 1.000 Dollar. „Aber können Sie denn überhaupt nichts für uns tun?“ versucht er es noch einmal. „Nein, aber lassen Sie Ihre Nummer da, falls Ihr Freund sich hier meldet.“ Die hat er schon fünfmal auf das Band gesprochen. „Danke“, sagt er und hängt ein.

Jan Priebke muß an diesem Tag zweimal zur Verhandlung im „Videosaal“ erscheinen. Das erste Mal hat der Richter gerade Pause, das zweite Mal erinnert Priebke stark an den Vortag: „Der Richter sagte nur: 1.000 Dollar Kaution, ja oder nein. Nein? Abführen!“

Gegen 18 Uhr gelingt es Jan zum ersten Mal, das Konsulat zu erreichen. Es meldet sich der Anrufbeantworter. Priebke fällt darauf rein und hinterläßt eine dringende Bitte um Hilfe.

Am Dienstag, dem 23. August, zehn Uhr morgens beginnt die vierte Verhandlung. Diesmal Auge in Auge mit der Justiz. Zum ersten Mal widmen sich die Vertreter des Staates Florida dem Führerschein. Ergebnis: Das Papier ist so gültig wie die letzte Präsidentenwahl. Bleibt der Vorwurf des „rücksichtslosen Fahrens“. Den will der Staatsanwalt nicht aufgeben. Die Gefahr ist zu groß, daß der Angeklagte den Staat auf Entschädigung verklagt. Die Richterin schlägt vor: „Bekennen Sie sich schuldig, und Sie sind ein freier Mann.“ Jan Priebke, der im Prinzip nichts verstanden hat, schaut sich hilfesuchend um. Hinter ihm sitzen sechs aneinandergekettete Schwarze mit mehr Praxis in solchen Dingen: „Do it, do it!“ rufen sie. „Okay“, sagt Jan Priebke und gibt zu, was er nie gemacht hat. Die Strafe ist mit der Haft verbüßt.

Am nächsten Morgen brechen Priebke und Unbehauen in Richtung New York auf. Unterwegs verbringen sie viel Zeit damit, nachzudenken, was das deutsche Konsulat in Miami wohl mit einem „Notfall“ meinen könnte. Am 4.September landen sie in München. Der Horrortrip ist zu Ende. Wirklich? Der Paßbeamte sieht Jan Priebke bei der Einreise ins Gesicht und fragt, mit der Betonung auf dem ersten Wort: „Sie sind Deutscher?“

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