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Die SPD haut auf die Tonne

■ Erhalt der kleinen Müllgefäße gefordert / BEB: Verstoß gegen EU-Recht und Arbeitsschutz

Kommando zurück: Die SPD stellt die Einführung der codierten Tonne in Frage. Nachdem der frisch gewählte Bundestagsabgeordnete Konrad Kunick im Wahlkampf heftig für den Verbleib der kleinen 35-Liter-Tonnen gestritten hatte, beschloß die SPD-Fraktion am Montag „mit überwältigender Mehrheit“ eine Maßnahme, die nach Angaben der BEB die Einführung der codierten Tonne in Bremen schwieriger und teurer machen wird. Auf Vorschlag von Bürgermeister Klaus Wedemeier stimmte die Fraktion dafür, Single-Haushalten für die Zeit von ein bis zwei Jahren auf Antrag einen 35-Liter-Mülleimer zu stellen.

Diese kleinen Tonnen sollten eigentlich in der Versenkung verschwinden. In der neuen Struktur der BEB haben nur noch Tonnen mit 60 und mehr Litern Platz. Die allerdings passen manchen BremerInnen nicht. Kunick gab an, in seinem Büro hätten sich „hunderte von Bürgern“ über den Verlust ihrer Müllgefäße beklagt. Die neue Tonne sei zu groß, würde nach drei Wochen stinken und sei für viele Leute zu schwer. Dieses „Biest von Tonne“ sei mit dem Beschluß der SPD-Fraktion so gut wie tot, meinte Kunick, auch wenn der erst noch durch die Koalition müsse: „Ich denke, daß da die Vernunft waltet. Bei großen Schwierigkeiten in der Praxis muß die Politik sich eben gelegentlich revidieren.“

Eine solche Revision ist der Beschluß der SPD allemal: Am 16. März 1993 hatte die Koalition mit den Stimmen der SPD die Einführung der codierten Tonne „begrüßt“, am 22. Juni dann dem Ortsgesetz und der schnellstmöglichen Einführung zugestimmt. „Wir müssen Fehler eingestehen können“, meinte der SPD-Fraktionsvorsitzende Reinhard Barsuhn.

Bisher sahen alle Pläne für die Einführung der codierten Tonne die Abschaffung der 35-Liter-Babytonne vor. Und dafür, meinen BEB und Umweltbehörde, gibt es gute Gründe. Nicht nur „kommen die anderen 80 Millionen Deutsche auch ohne kleine Tonnen aus“, wie Rita Kellner-Stoll, Abteilungsleiterin beim Umweltsenator, meint. Auch sind die größeren Gefäße für die BEB nötig, wenn aus Rationalisierungsgründen nur noch im Drei-Wochen-Takt der Müll abgefahren werden soll. Hauptargument für die Abschaffung der kleinen Tonnen ist aber der Arbeitsschutz: Die Müllwerker der BEB heben täglich mehrere hundert Tonnen auf die Müllwagen. Die Arbeiter klagen über Rückenprobleme, die BEB über einen hohen Krankenstand.

Zu Maßnahmen des Arbeitsschutzes könne Bremen aber nicht gezwungen werden, meint Kunick und stützt sich auf die Aussage der Brüsseler SPD-Frau Karin Jöns. Die habe erklärt, es „gebe keine klare europäische Richtlinie, welche die Abschaffung der alten Tonnen erzwingt.“ Das stimmt, aber nur halb. Denn die entsprechende EU-Richtlinie ist nur durch die Langsamkeit des Bundesministeriums für Arbeit nicht rechtzeitig zum Jahr 1993 in deutsches Recht umgesetzt worden. Sie sei aber sehr wohl geltendes Gemeinschaftsrecht, betont Jöns. Bremen nehme etwas voraus, was ohnehin kommen werde: „Wenn da ein Müllwerker vor dem europäischen Gerichtshof klagt, bekommt er Recht.“ Für den „Bremischen Gemeindeunfallversicherungsver-band“, der die BEB-Angestellten versichert, ist schon seit 1992 klar, daß das Heben der kleinen Tonnen „unter den Begriff des schädigenden Hebens und Tragens im Sinne der EG-Richtlinie“ fällt. Außerdem gebe es eine geltende DIN-Vorschrift: „Es dürfen nur noch solche beweglichen Abfallbehälter zum Einsatz kommen, deren Griffe nicht niedriger als 900 mm über dem Boden sind.“

Das aber schaffen mit Mühe die neuen 60-Liter-Tonnen, meint Kellner-Stoll. „Selbst wenn wir eine neue codierte 35-Liter-Tonne einführen würden, dürfte die nicht kleiner, sondern höchstens schmaler sein.“ Die Probleme in der Bevölkerung könnten durch die persönliche Beratung durch die BEB allesamt ausgeräumt werden. „Ich zweifle an der Rationalität der Politik, wenn das jetzt alles wieder rückgängig gemacht wird, das kostet Geld und Glaubwürdigkeit. Die BEB haben alles vorbereitet, in drei Vierteln der Stadt ist das System eingeführt, die schwierigsten Bezirke liegen hinter uns, die Müllwagen und Mülltonnen sind bestellt. Da kann man nicht auf einmal „April, April“ sagen.“ bpo

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