Sanssouci
: Vorschlag

■ Prager Filme der 60er und 90er Jahre im Tschechischen Zentrum

Vieles ist am Tschechischen Zentrum zu loben. Der produktive Widerspruch im Vorraum vor dem Kino zwischen riesigen Stehaschenbechern und einem dezenten Rauchverbotsschild, Kaffee ohne Filter, das ambitionierte Filmprogramm, die kundigen Filmeinführungen von Stefan Krul, die Auswahl der geladenen Gäste, aber auch die Ästhetik des Vergehens der auf DDR- Recyclingpapier gedruckten Programme. Am Donnerstag und Freitag präsentiert das Kino im Tschechischen Zentrum zwei Abschlußfilmprogramme der Prager Filmhochschule FAMU, die sich sozusagen zwanglos der Ästhetik der blaßgrünen Programmzettel anfügen, erinnern doch zumindest die Jahres- und Abschlußfilme von Regisseuren der Neuen Welle des tschechoslowakischen Films (Chitilova, Menzel, Jires usw.) aus den sechziger Jahren an das Projekt einer Moderne, von der man sich inzwischen längst und nicht nur filmisch verabschiedet hat.

Diese Moderne hat durchaus verschiedene Facetten. Mal ist sie fortschrittsgläubig wie der geometriebegeisterte Abschlußfilm von Jiri Menzel, der altes und neues Wohnen gegenüberstellt – Holz weicht dem Beton, alte Häuser, schmutzige Erinnerungen in Schwarz-Weiß werden weggesprengt, in bunten Plattenbauten richtet die tatkräftige Kleinfamilie den Blick auf ein neues Morgen – oft konzentriert sie sich aufs Hier und Jetzt – Elo Havetta schildert z.B. das Bohèmeleben junger Leute zwischen Plattenhören, Reden, Trinken, Baden und Küssen. In Jaromil Jires' Abschlußfilm von 1960 steht die Gegenwart – ein junges Glück – auf dem Bahnhof in der Entscheidung zwischen dem Grauen der Vergangenheit – KZ-Bilder – und dem möglichen Grauen der Zukunft – Atompilze.

Die Dinge, vor denen man sich fürchtet, haben sich gewandelt wie die Art und Weise, in der man mit seiner Furcht umgeht. Wo früher in slow motion pathetische Atompilze vor den Machenschaften des Kapitalismus warnten, hat man es heute mit kafkaesken Unübersichtlichkeiten oder verseuchten Industrielandschaften zu tun. In „Ölfresser“ (1988), dem preisgekrönten Kurzfilm von Jan Sverak, geht es um drei Forscher, die in eine nordböhmische Industriewüste fahren, um seltsamen Mutationen nachzuspüren. Der possierliche „Schlammschlemmer Ölfraß“ ernährt sich von Öl und geht bei frischer Luft ein. Der Film wird jeden Tierfreund begeistern, zumal man nie so recht weiß, ob es sich um einen Dokumentarfilm oder eine Satire handelt. Das Sechziger-Jahre-Filmprogramm wird ergänzt durch einen Dokumentarfilm von 1964 über die FAMU und eingeleitet von Jan Bernard, dem derzeitigen Dekan. Zu den aktuellen Abschlußfilmen, in denen es angenehmerweise nicht wie im Westen um die Beziehungskomiken blöder Yuppies geht, haben sich Studenten und Dozenten der Prager Filmhochschule angesagt. Detlef Kuhlbrodt

„Von Neuer Welle und Nachwende“; Abschlußarbeiten von der Prager Filmhochschule (FAMU) aus den Sechzigern und Neunzigern. 3.11., 20 Uhr: „Die Lehrjahre der Meister“ (Sechziger); 22 Uhr: „Ein Anlaß zum Sprechen“ (Dokfilm über die FAMU); 4.11., 20 & 22 Uhr: aktuelle Abschlußfilme, Tschechisches Zentrum, Leipziger Straße 60, Mitte.