: „Uns vermißt keiner!“
■ Wieland Speck, schwuler Filmemacher und Leiter der Berlinale-Sektion „Panorama“, über die Notwendigkeit und die Kriterien eines Homofilmfests
taz: Von allen deutschen Städten dürfte Berlin mit Homofilmen wohl am besten versorgt sein. Wozu noch ein eigenes Filmfestival für die Szene?
Wieland Speck: Ganz einfach: Weil jedes Jahr eine Vielzahl von lesbisch-schwulen Arbeiten entsteht, die einfach in der Versenkung verschwinden. Wir haben zwar einige große Filme im Kino, aber es laufen nicht annähernd so viele Filme, wie es dem homosexuellen Anteil in der Bevölkerung entsprechen müßte. Von einem Zuviel an Homofilmen kann wirklich nicht die Rede sein.
Die Berlinale hat seit Jahren den Ruf, heimliches Homofilmfest zu sein. Auch der kubanische Film „Erdbeer und Schokolade“ ist dort gelaufen, ehe er jetzt in die Kinos kam...
Das stimmt schon. Man darf aber nicht vergessen, daß die Homovielfalt immer an einzelnen Personen lag, wie etwa an Manfred Salzgeber. Und wenn ich jetzt nicht mehr die Sektion Panorama betreuen würde, gäbe es dort vielleicht keinen einzigen schwulen Film mehr. Außerdem können wir nur nagelneue Filme von einer gewissen Größe und einer gewissen kommerziellen Potenz zeigen.
Ein schwul-lesbisches Filmfestival hat dagegen die Chance, auch ältere Filme vorzuführen und Produktionen, die es nicht in die Kinos geschafft haben. Berlinale und Homofilmfest sind also keine Konkurrenz, im Gegenteil.
Welche Kriterien müssen lesbische und schwule Filme erfüllen, damit sie auf der Berlinale eine Chance haben?
Wie gesagt, sie müssen – wie alle anderen Produktionen auch – neu sein. Sie dürfen auf europäischen Festivals noch nicht gelaufen sein, und sie dürfen nicht zwischen 20 und 70 Minuten Länge haben. Und sie müssen „richtige“ Filme sein. Gerade lesbische Regisseurinnen müssen oft noch aus Kostengründen mit Video arbeiten.
Schält sich da nicht eine Aufgabenteilung heraus: die Berlinale für die großen, erfolgreichen Homofilme und das Filmfestival als Underground-Meeting und Gettoveranstaltung ohne Wirkung nach außen?
Jein. Es ist sicher eine wichtige Aufgabe eines lesbische-schwulen Filmfestivals, den sogenannten Underground aufzugreifen. Daraus wachsen schließlich die FilmemacherInnen, von denen später einmal sowohl die Berlinale als auch der Verleih leben werden. Andererseits laufen gerade dieses Jahr auf dem Festival mit „Priscilla“ und „Desperate Remedies“ zwei große Kinofilme. Es ist genau richtig so, diese beiden Schienen zu fahren.
Ein Vorteil des Filmfestivals ist nicht zuletzt, daß es Filme nach Themen zusammenstellen und Querverbindungen aufzeigen kann, die sonst oft übersehen werden.
Was „Priscilla“ und die Beteiligung eines Ku'dammkinos betrifft, ist die Professionalität des Homofilmfests sicher gestiegen. Die internationale Vielfalt scheint jedoch auf der Strecke geblieben zu sein...
Man muß doch mal den riesigen Arbeitsaufwand betrachten! Und die gewaltigen Kosten, die dahinterstecken. Wie soll ein kleines schwul-lesbisches Filmfest schaffen, was auch der Berlinale nur mit viel Mühe gelingt? An Filme kommt man schließlich am ehesten heran, wenn man zu anderen Festivals gute Verbindungen hat. Im schwul-lesbischen Bereich sind Filmfeste aber in den USA und Großbritannien viel selbstverständlicher als anderswo.
Berlin als „Standbein der kulturellen Avantgarde“ sollte sich ein Homofilmfestival langfristig sichern, fordern die VeranstalterInnen. Welche Unterstützung wäre nötig und möglich?
Das Problem ist, daß die Gesellschaft noch nicht so weit ist, daß sie von sich aus kapiert, daß schwule und lesbische Themen wichtig sind. Im Klartext heißt das: Uns vermißt keiner! Lesben und Schwule müssen sich im Kino nach wie vor mit starker Vehemenz in die vorderen Reihen drücken. Der Staat müßte das unterstützen.
Eine Idee wäre, daß das Berliner Referat für gleichgeschlechtliche Lebensweisen das Filmbüro finanziell absichert. Oder daß die Kulturverwaltung einen schwul- lesbischen Förderpreis ausrichtet und damit deutlich macht, daß in Berlin wichtige Emanzipationsarbeit für die gesamte Republik und Westeuropa geleistet wird.
Gehst du als Sektionsleiter Panorama selbst zum Homofilmfest und hältst Ausschau nach erfolgversprechenden NachwuchsregisseurInnen?
Durchaus. Ich kenne zwar schon die meisten Filme durch meine Arbeit, aber ich bin dennoch neugierig. Natürlich können wir die dort gezeigten Arbeiten nicht einfach in die nächste Berlinale übernehmen. Aber wir werden unser Netzwerk von schwulen und lesbischen FilmemacherInnen, das wir in den letzten Jahren aufgebaut haben, weiter ausbauen und können dadurch vielleicht konkrete Projekte verwirklichen. Interview: Micha Schulze
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