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Hinter Timbuktu färbt sich die Wüste rot

Der Konflikt zwischen Regierung und Tuareg-Minderheit in Mali hat sich zu einem regelrechten ethnischen Bürgerkrieg ausgeweitet / Vom Streit um Autonomie zum blutigen Kampf um Bevölkerungsmehrheiten  ■ Von Dominic Johnson

Timbuktu in der Sahara ist weltberühmt als legendäres kulturelles Zentrum des mittelalterlichen Islam, dessen Überreste noch heute die Forscherwelt faszinieren. Heute ist die malische Wüstenstadt nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die maurischen und Tuareg-Bewohner der Stadt sind tot oder geflohen – vertrieben von Pogromen des Militärs und schwarzafrikanischen Milizen.

„In Timbuktu werden die Gelehrten niedergemetzelt“, titelt die marokkanische Zeitung L'Opinion und vergleicht die Vorgänge mit den Massakern an den Tutsi in Ruanda. Das Grauen in Mali ist nicht so groß. Doch der taz liegt eine Liste von fast 400 Todesopfern der Juni-Pogrome in Timbuktu vor, erstellt von der „Assoziation der Tuareg- und Mauren-Flüchtlinge“. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international bestätigte im September „summarische Hinrichtungen von mindestens 50 Zivilisten“ in der Stadt zwischen dem 12. und 29. Juni.

Alle Tuareg und Mauren, so übereinstimmend Beobachter vor Ort, haben Timbuktu verlassen. Ein deutscher Entwicklungshelfer: „Die Elite ist tot, die anderen sind geflohen.“ Das Schicksal Timbuktus zeigt exemplarisch, wie der Konflikt zwischen dem malischen Staat und den bewaffneten Rebellengruppen eskaliert ist.

Eigentlich hatten am 11. April 1992, nach zwei Jahren bewaffneter Zusammenstöße, Regierung und der Tuareg-Rebellendachverband MFUA („Vereinigte Bewegung und Front von Azawad“) Frieden geschlossen. Dem „Nationalpakt“ zufolge sollten die Guerillakämpfer in die Armee integriert werden, und in den Nordregionen Timbuktu, Gao und Kidal, wo „Schwarze“ und „Weiße“ je etwa die Hälfte der Bevölkerung stellen, sollten besondere Entwicklungsanstrengungen anlaufen.

640 Guerillakämpfer fanden tatsächlich Aufnahme in die Armee. Am 15. Mai 1994 wurde in Algier ein neuer Vertrag geschlossen, der die Aufnahme von zusätzlichen 2.000 Guerilleros vorsah. Inzwischen war aber unter der schwarzafrikanischen Mehrheit der Unmut über die angebliche Bevorzugung der ohnehin ungeliebten „Weißen“ gewachsen. Auch das Militär, das der demokratischen Regierung Malis skeptisch gegenübersteht, sah nicht ein, warum es den „Wüstenkrieg“ nicht zu Ende führen dürfte. Oppositionsparteien schließlich kritisierten die „Unsicherheit“ im Norden.

Daran waren die Tuareg zum guten Teil selbst schuld. „Die Integration der Kämpfer, gefolgt von ihrer Stationierung in allen Städten des Nordens“, analysiert der Tuareg-Wissenschaftler Yehia Ag Mohamed Ali selbstkritisch, „erlaubte den nichtintegrierten Rebellen eine völlige Bewegungsfreiheit mitsamt ihren Waffen auf dem gesamten Staatsgebiet. Es reichte, daß sie einen Auftrag ihrer Bewegung vorweisen konnten. Sie nutzten diese Lage aus, um neue Stützpunkte in dichtbesiedelten Zonen aufzubauen, und führten sich gegenüber den Zivilbevölkerungen wie Eroberer auf, indem sie Polizeifunktionen wahrnahmen und Vieh beschlagnahmten.“

Die gärende Stimmung unter schwarzen Bauern wie auch innerhalb der Armee fand schließlich ihren Ausdruck in einer bewaffneten Gegenbewegung, gegründet zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt von einem desertierten Luftwaffenkapitän: „Malische Patriotische Bewegung Gandakoye“. Der Name „Gandakoye“ – auf deutsch „Herren der Erde“ – war bereits 1992 unter unzufriedenen Soldaten der Songhai-Ethnie aufgetaucht. Seit etwa April 1994 bezeichnet er selbsternannte Songhai-Milizionäre, die gewaltsam gegen die Tuareg in den drei Nordprovinzen vorgehen. Der Grund: „Aus der Sicht der Songhai“, so Ali weiter, „erlaubt der Nationalpakt, daß auf eine traditionell von ihnen beherrschte Zone die Tuareg Zugriff erhalten.“

Der offene Konflikt entzündete sich im Mai. Als eine Einheit der in das Militär integrierten Tuareg eine Strafexpedition gegen die Gandakoye unternahm, griffen andere Soldaten ein, und bei der Schießerei kam der in die Armee integrierte Chef der maurischen Guerillagruppe FIAA, Boubacar Sadeck, ums Leben.

Dieser Zwischenfall führte direkt zum Pogrom von Timbuktu. Am 8. Juni griffen Rebellen den Ort Niafunke südlich von Timbuktu an und töteten fünf Menschen. Empörte Bewohner töteten daraufhin zusammen mit Soldaten elf Tuareg-Bewohner des Ortes. Am Tage darauf begannen die in die Armee integrierten Rebellen – außer denen der originären Tuareg-Guerillagruppe MPA – die Kasernen aus Protest zu verlassen. In Timbuktu verließen die Tuareg- Soldaten am 10. Juni 1994 mit ihren Familien die Stadt.

In der darauffolgenden Nacht kam es in Timbuktu zu ungeklärten Schießereien. „Am nächsten Morgen ließ die Reaktion der Bevölkerung nicht auf sich warten“, rekonstruierte die malische Zeitung Union später die Ereignisse. „In der ganzen Stadt hörte man Rufe: ,Die Mörder, die Rebellen haben uns gestern abend angegriffen, sie haben die Burg angegriffen, um uns auszuhungern, sie haben das Krankenhaus angegriffen, um unsere Kranken zu töten. Ihr Fremden, wir werden euch umbringen, euch und die euch ähnlichen, euch und eure Komplizen.‘“

Zu den ersten Opfern des Volkszorns gehörten nach diesem Zeitungsbericht Aktivisten der Regierungspartei Adema, die zwar keine Tuareg waren, aber für die Regierungspolitik haftbar gemacht wurden. „Die malische Armee“, heißt es in der Stellungnahme der „Flüchtlingsassoziation“, „richtete eine Luftbrücke ein ... Die Roten Mützen (Präsidialgardisten) und Fallschirmjäger wurden nach ihrer Ankunft mit ihrem Material in Häusern von Arabern und Tuareg untergebracht, statt in ihre Kaserne zu gehen... Sie müssen weder dem Armeekommandeur vor Ort noch dem Gouverneur von Timbuktu Rechenschaft ablegen.“ Offenbar fühlten sie sich als Herren der Stadt: „amnesty“ bestätigt unter anderem für die darauffolgenden Wochen die Verhaftung und Hinrichtung von Sidi Amar Ould Ely, Leiter des Ahmed-Baba-Forschungszentrums, und anderen Prominenten.

Ähnliche Vorfälle kommen seither auf dem gesamten Gebiet der drei Nordprovinzen vor. Das Grundmuster: Tuareg- oder Mauren-Kämpfer rücken in einen Ort ein, beschlagnahmen Autos und andere Güter, töten dabei zuweilen Zivilisten und ziehen sich wieder in die Wüste zurück. Oder Soldaten beziehungsweise Milizionäre beziehen in einer Ortschaft Position und machen sich an die Vertreibung der Tuareg oder der Mauren: Angebliche „Rädelsführer“ werden erschossen, der Rest flieht meistens von selbst. Der eingangs zitierte Entwicklungshelfer: „Ich nenne das den Drei-Prozent- Mord. 20 werden umgebracht, damit 680 gehen.“

Die Zielsetzung der „Gandakoye“ kann ohne weiteres als „ethnische Säuberung“ charakterisiert werden: Die Bevölkerungsstruktur der drei Nordregionen soll nachhaltig zuungunsten der „Weißen“ verändert werden. Damit weitet sich der Konflikt von seinem Ursprung in Nordostmali aus. „Das Tragische ist“, sagt der Ethnologe Georg Klute, „daß die Milizen begonnen haben, auch solche Tuareg und Mauren zu töten, die mit dem Konflikt gar nichts zu tun haben wollten.“ Der Krieg habe dadurch auch die Mauren ergriffen, deren Bewegung FIAA jetzt selbst zu Strafaktionen greift.

Das birgt die Gefahr der Internationalisierung. Mauren regieren bereits im benachbarten Mauretanien, und ihre Guerillabewegung FIAA soll Unterstützung von algerischen Islamisten erhalten. In Niger besteht ohnehin ein Konflikt zwischen Staat und Tuareg, wiewohl Anfang Oktober ein Friedensabkommen ähnlich dem malischen Nationalpakt unterzeichnet wurde. 175.000 Tuareg und Mauren leben mittlerweile als Flüchtlinge in Mauretanien, Burkina Faso und Algerien. Mitte Oktober überschritten nach französischen Rundfunkberichten täglich 100 Menschen die malisch-burkinische Grenze.

Malis Regierung ist in dem Konflikt ein etwas ratloser Zuschauer, wobei sie gegenüber der teils offen rassistischen öffentlichen Meinung Malis wie auch gegenüber dem Militär in der Defensive steckt. Die FIAA setzte ihr im Sommer ein Ultimatum, bis Ende September die „Gandakoye“ zu entwaffnen; dazu ist die Regierung aber nicht in der Lage. Die Armee wiederum hat zwecks besserer Kriegführung ihren Generalstab aus der Hauptstadt Bamako nach Mopti verlegt und konzentriert sich auf die Verteidigung des Nigers, der quer durch Mali fließt und für die Garnisonen des Nordens den Hauptnachschubweg darstellt. Im Osten des Landes teilt er zugleich die historischen Siedlungsgebiete der Tuareg und der Songhai.

Die Eskalation scheint ungebrochen. Am 24. Oktober versuchten Rebelleneinheiten, die Stadt Gao zu besetzen, und beschossen eines der Niger-Dampfschiffe, mit denen die Armee ihre Garnison in Gao versorgt. Daraufhin kam es zu Ausschreitungen gegen die Tuareg-Bewohner der Stadt, bei denen nach amtlichen Angaben 66 Menschen ums Leben kamen, darunter ein islamischer Geistlicher. Sollten sich die Ereignisse von Timbuktu in Gao wiederholen, sinken die ohnehin geringen Chancen auf Entspannung noch weiter.

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